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aus dem Paracelsus Magazin: Ausgabe 2/2022

Glosse: Funktioniert Akupunktur?

Cover

„Nö. Kann nicht funktionieren.“ So wurde das lange kommuniziert. Ich arbeite seit 1989 mit Akupunktur. Erfolgsquote: hoch, v.a. bei Allergien. Etwa 99% in den letzten 8 Jahren. Aber sie funktioniert ja nicht.

Die Studie

Diese Frage hat sich auch die Techniker Krankenkasse im Auftrag des Gemeinsamen Bundesausschusses (GBA) gestellt. Der GBA glaubt‘s nicht, der Krankenversicherer will aber zahlen, wenn es günstiger ist als die Standard-Therapie. Nur das verbietet das Fünfte Sozialgesetzbuch (SGB V). Also muss eine Studie her. Die Konsequenz der Evidenz.

Die Studie wurde 2011-2017 von der Charité durchgeführt, mit 10000 qualifizierten Ärzten an rund 300000 Patienten. Studien unterliegen Qualitätskriterien, die einzuhalten fast nur Universitäts-Kliniken möglich ist. Das kostet Geld, Professoren arbeiten nicht für lau.

Ergebnis: wirksam, sicher und wirtschaftlich bei Kopf-, LWS- und Arthroseschmerzen, Asthma, Allergien und Dysmenorrhö, jeweils zwischen 75 und 85%. Auch in der Katamnese. So viel zur Faktenlage. Ich hätte die Erfolgsquote nach meiner Praxiserfahrung höher eingeschätzt, habe aber keine Strichlisten geführt. Sollte ich vielleicht mal tun.

Das wirft Fragen auf

Eines der Studienergebnisse besagt, dass Meridiane nicht sichtbar sind. Nun verfügen wir zwar über Mikroskope, mit denen einzelne Zellen, nicht aber Meridiane gefunden werden. Wundert mich nicht, auch das Gegenteil hätte meine Arbeit nicht beeinflusst. Für uns Heilpraktiker ist Akupunktur Erfahrungsmedizin mit taoistischem Hintergrund. Aber es wirft Fragen auf: Wenn man schon die Meridiane nicht sehen kann, wie können die Punkte auf ihnen dann wirksam sein?

Gegenfragen: Was ist Bios? Nicht bekannt. Warum wirkt Paracetamol bei Schmerzen? Nicht bekannt. Wie kommt der erste Herzton zustande? Theorien ja, aber: nicht bekannt. Warum haben Antidepressiva eine so niedrige Heilungsquote? Soll ich’s sagen? Nicht bekannt. So viele Fragen, so wenige Antworten. Evidenzbasiert eben.

Ein anderes Studienergebnis ist, dass es eine nachweisbare Wirksamkeit auch bei der Placebo-Akupunktur gibt, also an Punkten, die nach den Regeln der TCM bei einem Symptom nicht indiziert waren. Auch dabei kommen Fragen auf: Ab welchem Abstand vom echten Akupunkturpunkt ist es Placebo-Akupunktur? Warum wirkt die Placebo-Akupunktur immer noch? Welche Rolle spielt die Zeit, die sich der Therapeut nimmt? Wenn Sie arbeiten wie ich, dann haben Sie keine Wartezeiten, weil der nächste Patient in frühestens 60 Minuten kommt. Wir betreiben keine Fünf-Minuten-Medizin. Dass die Kollegen aus der Schulmedizin das tun, verstehe ich: Die Geräte müssen abbezahlt werden, Miete und Mitarbeiter, und der Arzt will ja auch leben.

Dritte Frage: Ist bei diesen Ergebnissen, die man auch bei qualifizierten Therapeuten hätte erfragen können, eine Überprüfung der Akupunktur überhaupt sinnvoll? Erster Impuls: Nein, sparen Sie sich das Geld lieber. Aber der zweite Impuls sagt: Durchaus ja, denn es geht um viel Geld, das die Krankenversicherungen lieber eher nicht ausgeben, denn…

Vierte Frage: Warum gibt der GBA eine teure Studie in Auftrag, und Gesetzliche Krankenversicherungen bezahlen die auch noch? Weil die Krankenkassen Geld sparen wollen. Wenn beim LWS-Syndrom eine Akupunkturbehandlung mindestens die gleiche anhaltende Erfolgssicherheit hat wie eine Operation, oder eine Akupunktur günstiger ist als ein Jahrzehnt der Opiat-Einnahme – ich habe das wiederholt in der Praxis erlebt – dann zahlen die Krankenversicherer doch lieber die Akupunktur. Das ist Wirtschaftlichkeit, aber das kann uns Therapeuten ja recht sein: Wer heilt, hat Recht.

Der GBA ist übrigens das höchste Gremium im Gesundheitswesen, § 91 des SGB V. Das schreibt vor, dass Leistungen der Gesetzlichen Krankenversicherungen „ausreichend, zweckmäßig und wirtschaftlich“ sein müssen. Finde ich prima.

Zuletzt

Und jetzt die letzte Frage, es geht um Berufspolitik: Wie oft soll uns Heilpraktikern das noch passieren, dass komplementärmedizinische Verfahren in Frage gestellt werden? Und plötzlich: Huch, sie funktionieren ja doch! Hat zwar schon 4000 Jahre lang funktioniert, aber jetzt wissen wir’s endlich auch. Wie lange also wird es noch dauern, bis auch hier die Schulmedizin ihren Alleinvertretungsanspruch erhebt, sie als EbM für sich beansprucht und Akupunktur als invasive Methode den HPs wegnehmen will? Die Begründung könnte sein: zu viele Risiken, Infektionen, Todesfälle! Der eine Todesfall durch Akupunktur ist dermaßen unglaubwürdig, dass ich mich kaum traue, ihn hier darzustellen: Der Therapeut habe übersehen, dass der Patient ein Foramen sternale hat, ein Loch im Brustbein, das da nicht hingehört – ein ausgesprochen seltenes Phänomen. Er sticht Ren18, trifft in das Perikard, Tod durch Einblutung und Herzbeuteltamponade. Glaubwürdig? Nein, aber tragisch. Nur bei allem Respekt: Erklären Sie doch einmal, warum die Haftpflichtversicherungen für uns Heilpraktiker in den letzten zehn Jahren billiger geworden sind. Weil es fast keine Schadensfälle gibt!

Wie ich schon in der letzten Glosse sagte: Ich bin es allmählich leid, mich über jede Erfahrung hinweg immer wieder in Frage stellen zu lassen, dann auch bisweilen noch mit, sagen wir mal, „interessanten“ Begründungen. Aber für die Akupunktur gibt es ja jetzt wenigstens eine Studie.

Thomas Schnura
Psychologe M.A., Heilpraktiker und Dozent

Thschnura@aol.com

Foto: © imaginando / adobe.stock.com

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