aus dem Paracelsus Magazin: Ausgabe 2/2022
Unsere Heilpflanze: Herbstzeitlose – Colchicum autumnale
Auch bekannt als: Colchicum commune, C. crociflorum, C. multiflorum, Henne, Herbstblume, Giftkrokus, Hundsblume, Michaelisblume, Mönchskappen, Teufelsbrot, Wiesenlilie, Wildsafran, Wilde Zwiebel, Winterhaube, Heugucken, Hundszwiebel, Kathrinenblume, Kuckucksbrot, Zosen
Die Herbstzeitlose gehört zur Familie der Zeitlosengewächse (Colchicaceae). Ihr deutscher Trivialname „Herbstzeitlose“ leitet sich davon ab, dass die Pflanze bis Oktober blüht, also außerhalb der Blütezeit anderer Pflanzen. Auf Grund dieser Besonderheit soll sie den Beginn der Herbstzeit vorhersagen.
Die Pflanze stammt aus Westasien, ist heute in Mittel- und Südosteuropa (Irland, England, Norddeutschland, Südpolen, Bulgarien) weit verbreitet und wird auch als Zierpflanze kultiviert. Sie ist an Böschungen, vorwiegend an sonnigen oder halbschattigen, warmen und windgeschützten Plätzen, v.a. auf nährstoffreichen, feuchten Wiesen anzutreffen. Zum Teil wächst sie bis in Höhen von 1500 m.
Für viele Tierarten ist die Pflanze sehr giftig; wächst sie zu zahlreich, kann man sie an jenen Standorten nicht weiden und grasen lassen.
Woran erkennt man die Herbstzeitlose?
Sie ist eine ausdauernde, krautige Knollenpflanze mit Wuchshöhen von 8-30 cm. Die Herbstzeitlose ist ein Geophyt, bei dem nur die unter der Erde befindlichen Pflanzenteile den Spätherbst und Winter überstehen. In der kalten Jahreszeit baut sich die Sprossknolle ab. Darüber erfolgt im Sommer aus dem Seitenspross die Anlage einer neuen braunschuppigen Sprossknolle. Die breit-lanzettlichen Laubblätter mit einer Länge bis zu 40 cm erscheinen durch eine leichte Einrollung schmal. Sie sind trichterartig schräg bis steil aufwärts stehend und werden im Frühsommer zusammen mit der noch unreifen Kapselfrucht sichtbar. Da die Blätter dicklich-steif und an der Spitze kahnförmig und knötchenartig zusammengezogen sind, unterscheidet sich die Pflanze so auffallend von den dünnen, ebenen, rasch schlaff werdenden Blättern des Bärlauchs. Ein weiteres Unterscheidungsmerkmal ist die leicht linksschraubige Verdrehung der Blätter der Herbstzeitlosen.
Pro Pflanze entstehen 1-5 zwittrige, radiärsymmetrische dreizählige Blüten, wobei sich deren 6 meist blassrosa bis violett gefärbten Hüllblätter zu einer langen Röhre vereinen.
Wie wirkt die Herbstzeitlose?
Sie ist eine Giftpflanze und darf keinesfalls in der Schwangerschaft angewendet werden. Vorsicht ist geboten bei alten, geschwächten Patienten sowie bei Herz-, Nieren- und gastrointestinalen Erkrankungen.
Fertigpräparate wirken antichemotaktisch, antiphlogistisch und mitosehemmend.
In der Volksmedizin wurde sie früher bei akuter und chronischer Leukämie, Hauttumoren und Condylomata eingesetzt, eine Abkochung der Pflanze zur Bekämpfung von Läusen bei Mensch und Vieh. Herbstzeitlosenwein wurde verwendet bei Asthma, Gicht, Wassersucht und Rheumatismus.
Alle Formen der Selbstmedikation sind wegen der großen Vergiftungsgefahr zu unterlassen.
Umstritten ist die Anwendung bei akutem Gelenkrheumatismus, Sehnenscheidenentzündungen, Entzündungen des Magen-Darm-Traktes, Psoriasis, nekrotisierender Vasculitis und Leberzirrhose.
In Österreich gibt es ermutigende Ergebnisse in der Therapie der SARS-CoV-2-Erkrankung bei überschießenden Entzündungsreaktionen.
Anwendungsgebiete
Als Fertigpräparat
- Hautkrebs
- Leukämie
- Neuralgien
- Rheuma
Homöopathisch ab D4
- Akute und chronische Gicht
- Akuter Gelenkrheumatismus
- Sehnenscheidenentzündungen
Welche Wirkstoffe sind in der Herbstzeitlosen enthalten?
Die Samen enthalten 0,5-1,2% Alkaloide, v.a. neutrale Tropolonring (Colchicin [s. Formel, bis zu 65% der Gesamtalkaloide] und Colchicosid [bis 30% der Gesamtalkaloide]), daneben wenig N-Desacetyl-N-formylcolchicin und N-Desacetyl-N-oxobutyrylcolchicin. Basische Alkaloide mit Tropolonringstruktur (z.B. Demecolcin) kommen nur in sehr geringen Mengen vor.
Colchicin ist auch in den Blüten (bis 1,8%), der Knolle (ca. 0,2%) und den Blättern (0,03%) enthalten. Colchicin ist ein toxisches Alkaloid aus der Gruppe der Colchicin-Alkaloide. Es gilt als erbgutverändernd und giftig. Die letale Dosis wird mit 0,8mg/kg Körpergewicht angegeben.
Die Entdeckung und Isolierung von Colchicin im 19. Jahrhundert wird dem Heidelberger Pharmazeuten Philipp Lorenz Geiger zugeschrieben, der den Wirkstoff 1833 aus Samen von Colchicum autumnale gewonnen hat. Zubereitungen der Herbstzeitlosen waren damals als Arzneidroge bekannt und wurden z.B. bei Gicht (Podagra) eingesetzt. Die Indikation für colchicinhaltige Arzneimittel war schon in Mesopotamien (im Papyrus Ebers belegt) und im Alten Ägypten gebräuchlich. Heute noch wird Colchicin bei akuten Gichtanfällen oder bei einer Unverträglichkeit alternativer Arzneimittel angewendet. Zudem wird Colchicin in der Leitlinie zur akuten Perikarditis (zusammen mit einem nichtsteroidalen Antirheumatikum [NSAR]) als Erstlinientherapie empfohlen.
Welche Teile der Herbstzeitlosen werden medizinisch verwendet?
Die im Juni und Juli geernteten und getrockneten Samen (Colchici semen, Semen Colchici) mit Colchicingehalt von mindestens 0,4%. Ebenfalls kommen die im Hochsommer gesammelten, geschnittenen und getrockneten Knollen (Tuber colchici) sowie die im Herbst zusammengetragenen frischen Blüten (Flores Colchici) zum Einsatz.
Anwendung
Da die Herbstzeitlose eine Giftpflanze ist, wird sie nicht als Phytopharmakon verwendet, sondern ausschließlich als Reinstoff Colchicin in Fertigarzneimitteln bei Gicht, Neuralgien, starken rheumatischen Schmerzen sowie einigen Formen von Leukämie und Hautkrebs.
Die Anwendung als zerkleinerte Droge, Frischpflanzenpresssaft und anderer galenischer Zubereitungen zur oralen Applikation sollte vermieden werden.
Wichtig bei der Anwendung von Präparaten der Herbstzeitlosen ist ein genau überprüfter, standardisierter Gehalt an Colchicin. Solche Präparate müssen vom Arzt verordnet werden und dürfen nur wie vom Arzt vorgeschrieben genutzt werden. Soweit nicht anders verordnet, wird im akuten Gichtanfall oral als Initialdosis 1 mg Colchicin gegeben, danach 0,5-1,5 mg alle 1-2 Stunden bis zum Abklingen der Schmerzen. Die Tagesgesamtdosis soll 8 mg Colchicin nicht überschreiten. Innerhalb von 3 Tagen darf keine Wiederholung der Behandlung eines Gichtanfalls stattfinden.
Präparate der Pflanze helfen nur bei akuten Gichtanfällen und den dabei auftretenden Schmerzen. Zur dauerhaften Behandlung der Gicht und zur Senkung der Harnsäurewerte im Blut sind sie nicht geeignet.
Giftwirkung
Bei einer Vergiftung kommt es zunächst zur Blutfülle aufgrund einer Lähmung der Kapillargefäße. Es schließen sich heftige Blutungen an. Außerdem: Übelkeit, Erbrechen, Durchfall und Koliken, was oft von ausgeprägtem Durst begleitet wird. Kennzeichnend sind starke Angst, Schwindelanfälle, Delirien und Herzversagen. Schwere Vergiftungen können sogar zum Tod führen; deshalb ist bei Verdacht sofort der Notruf zu wählen, damit eine schnelle ärztliche Behandlung erfolgen kann.
Dr. rer. nat. Frank Herfurth
Heilpraktiker, Lebensmittelchemiker, Dozent an den Paracelsus Schulen
fh@herfurth.org
Foto: © JRJfin / adobe.stock.com
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