aus dem Paracelsus Magazin: Ausgabe 6/2022
Glosse: Der asiatische Lastenträger
Haben Sie schon einmal dieses Bild gesehen, auf dem ein asiatischer Lastenträger aus dem letzten Kaiserreich ein Paket auf dem Rücken trägt, das ihn um Körperlänge überragt? Ganz ehrlich, da wird man doch irgendwie neidisch, oder? Denn unser Päckchen haben wir ja auch zu tragen.
So oft dachten wir schon, nun sei aber die Grenze erreicht. Und dann kam noch eines obendrauf, und plötzlich wurde Aufgeben eine Option. Sie erinnern sich? Ich jedenfalls tue das. Und dann haben wir es irgendwie doch geschafft, über den Berg zu kommen, der sich vor uns aufgetürmt hatte. Bis zum nächsten Mal.
Ich hatte in meinem früheren Leben 7 Bandscheibenvorfälle, CT-Nachweise liegen vor; erstmalig ausgelöst durch eine Unachtsamkeit beim Skifahren. Das erklärt natürlich einen Fall, aber nicht die anderen sechs. Also wieder einmal ein paar Fragen.
Wie ist das eigentlich: Ist der alte Lastenträger aus China ein zäherer Hund als wir, und wir einfach nur Weicheier? Wohl nicht. Wenn seine Kinder leiden, geht ihm das ebenso nahe wie uns? Oder müssen wir erst richtig hart werden? Selbstverständlich nicht, wir wissen doch schon, was dabei herauskommt: Ein hart verspannter Rücken, der auf jede weitere kleine Belastung reagiert. Indem er unserem Geist die Gefolgschaft aufkündigt und uns als ganzem Menschen unmissverständlich klar macht: Ich verweigere die Zusammenarbeit, gerate aus dem Lot und tue dir weh. So geht es einfach nicht mehr weiter.
Worum also geht es wirklich beim Rückenschmerz? Wir mögen unsere Lasten einfach oft nicht, auch wenn es doch sein muss. Wir haben das Verständnis für Konstitutionen verloren – einige von uns blühen unter Belastung auf, andere gehen ein. Wir pflegen zu denken, dass jeder mit seinen Lasten allein fertigwerden muss. Scheuen uns, unsere Brüder und Schwestern um Hilfe zu bitten oder zuzugeben, dass wir uns manchmal doch sehr allein fühlen.
Am liebsten möchten wir unsere Belastungen einfach loswerden: Sind es die Finanzen, Freunde, die Familie oder der Job? Gleich mehrere davon? Es kann recht schnell existenziell werden. Die Zeiten sind hart, aber ungerecht. Kann das denn nicht mal jemand anders für mich erledigen?
Wir dürfen uns unterschiedlicher Konstitutionen bewusst sein: Da steht das robuste Ernährungs-Bewegungs-Naturell dem hochsensiblen Empfindungs-Naturell gegenüber. Und beide machen sich nicht hinreichend klar, dass sie unterschiedliche Stärken haben und das Leben verschiedene Aufgaben mit sich bringt.
Allein mit allem fertigwerden zu müssen, resultiert aus dem Gedanken, dass ein um Hilfe bittender Mensch schwächlich oder inkompetent wirkt. Eine verlorene Liebe, der Auszug des letzten Kindes, die Bewältigung eines Umzugs etc., alles wollen wir mit uns selbst ausmachen.
Erinnern Sie sich, dass es manchmal zu lang gedauert hat, bis wir uns ein Herz nahmen und dann doch um Unterstützung gebeten haben? Ich kann mich gut daran erinnern. Ich hab’s mir dann irgendwie erklärt, hat ja alles doch keinen Zweck. Jungs halt…
Die asiatischen Traditionen lehren uns, sich immer auf eine harmonische Art im Leben zu bewegen. Tatsächlich stehen morgens in chinesischen Stadtparks junge neben alten Menschen und praktizieren z.B. die berühmte Kranich-Übung, um den Fluss des Qi und die eigene Beweglichkeit zu verbessern.
Dennoch sind Rückenbeschwerden mittlerweile in Asien ebenso verbreitet wie bei uns in der westlichen Welt. Die Lebenseinstellungen gleichen sich an und die Lebensweisen ähneln sich, weil es allzu menschlich ist. Ich würde nicht behaupten, dass es hier oder dort die bessere Lebensweise gibt. Das kann ich nicht beurteilen. Allerdings haben asiatische Ansätze deutlich höhere Chancen, ohne aufwändige chirurgische Eingriffe mit den Risiken von Misserfolgen oder unerwünschten Nachwirkungen zu einer anhaltenden Gesundheit zurückzuführen.
Akupunktur z.B. ist nach meiner jahrelangen Erfahrung in der Lage, Rückenschmerzen nebenwirkungsfrei und zuverlässig zu beseitigen. Da ich einst ein Fachbuch über Akupunktur und Chinesische Medizin verfasste, sind mir die Akupunkturpunkte Bl37, Bl40 und Bl60 sehr wohl bekannt, die Trefferchance im Laufe der Jahre liegt bei ca. 90 %. Meinen Studenten sage ich immer: „Merkt euch diese drei Punkte, damit könnt ihr im Grunde eine Praxis betreiben.“ Die Zahl meiner Patienten, die inzwischen auf Opioide verzichten können, ist angenehm hoch.
Die Akupunktur verteilt die Energien im Körper auf eine Weise, die der Persönlichkeit des Menschen entspricht. Auch wenn es bisher nur teilweise kuriose Theorien darüber gibt, wie sie das tut, aber das geht uns Heilpraktiker ja nichts an, denn: Wer heilt, hat Recht.
Wer heute das Handwerkszeug eines alten chinesischen Bergdoktors kennt, verfügt über Wissen, das der evidenzbasierten Schulmedizin an vielen Stellen weit überlegen ist (außer natürlich in Notfällen). Die gesetzlichen Krankenversicherungen haben daher vor Jahren nicht zufällig eine aufwändige Studie von der Charité über die Erfolge der Akupunktur erstellen lassen. Warum? Damit sie nach dem SGB-5 ebenfalls in die Lage kommen, diese Leistungen erstatten zu dürfen: Weisen wir’s in einer Studie nach, dann dürfen wir’s bezahlen. Billiger ist es auf lange Sicht allemal. Die Ergebnisse der Studie waren umwerfend gut – Sie können diese im Ärzteblatt nachlesen.
Tja, von den Asiaten lernen heißt, gesünder therapieren zu lernen.
Thomas Schnura
Psychologe M.A.,
Heilpraktiker und Dozent
Foto: © Hagbarth, CC BY-SA 3.0, via Wikimedia Commons
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