aus dem Paracelsus Magazin: Ausgabe 6/2022
Spagyrik aus Sicht der Chinesischen Medizin
DIE NATURHEILKUNDLICHE VERBINDUNG ZWEIER WELTEN
Die spagyrischen Komplexmittel nach Alexander von Bernus, mit denen ich häufig arbeite, sind seit 100 Jahren fester Bestandteil der Traditionellen Europäischen Medizin (TEM). Im 21. Jahrhundert, einer Zeit der Globalisierung, beobachten wir eine starke Durchmischung östlicher und westlicher traditioneller Heilverfahren in unserem Kulturkreis. Oft sind nur die verwendete Sprache und damit die angewandten Fachbegriffe ein Hindernis, die Brücke zwischen Ost und West zu schlagen.
Spaygrik und TCM in der Tradition der Alchemie
Die westliche Spagyrik – inklusive der Essenzen, die der Alchemist von Bernus im letzten Jahrhundert aus dem Dornröschenschlaf erweckte – wurzelt in der Lehre des Paracelsus. Sein Werk steht wiederum auf dem Fundament der Hermetik, damit reichen die Ursprünge zurück bis ins arabische und asiatische Reich. In allen Kulturen beobachten wir das Wirken der Alchemisten, die die Wandlung und „Erhöhung“ der Materie erforschten. Ob es nun jene des Gelben Kaisers waren, die quecksilberhaltige Arznei (Zinnober) zur Erreichung der Unsterblichkeit verwendeten, oder die westlichen Kundigen, die den „roten Löwen“, den Lapis philosophorum, veredeln wollten – über alle Zeiten und Grenzen hinweg versuchten sie, große Mysterien zu entschlüsseln.
Parallelen zwischen östlicher und westlicher Heiltradition
Eine zentrale Sichtweise, auf der sowohl die chinesische wie auch die spagyrische Lehre aufbaut, ist, dass die irdische Existenz auf einer immerwährenden Trennung und Verbindung von polaren Energiezuständen, Eigenschaften oder Kräften basiert. Diese als Yin und Yang bekannten Partner wandeln sich kontinuierlich ineinander, so entsteht das paradoxe Prinzip der gegenseitigen Vernichtung und Hervorbringung. Dieser Kraft (Qi) entspringt die Fähigkeit, Bewegung, Transformation und Spannung zu erzeugen. In der westlichen Wortgebung nutzen wir für die anonyme Lebenskraft der Formung (Yang) den Begriff „Merkur“ und für jene der Formerhaltung (Yin) den Begriff „Sal“. Diese Gegensätze können wir in allen Strukturen beobachten. In der Medizin sehen wir die verschiedenen Gewebe oder Funktionen des menschlichen Mikrokosmos (Tab. 1).
Da sich die Wandlung von Aggregatzuständen fließend vollzieht (z.B. von Sommer zu Winter), können wir verschiedene Phasen beobachten (u.a. Jahreszeiten), die die Wandlung von Yin und Yang beschreiben. In der Chinesischen Medizin kennen wir diese Beobachtung als das Modell der Fünf Elemente, in der Spagyrik verwenden wir dafür die Planetarprinzipien (Abb. 1).
Krankheitsentstehung aus Sicht der TCM und TEM
Auch das Denken über die Pathogenese (die Entstehung der Krankheit) ähnelt sich in beiden Traditionen. Die Chinesische Medizin erklärt, dass Krankheit durch Störungen des Kräfte- und Säftehaushalts (Qi, Blut, Körperflüssigkeiten, Essenz) entstehen. Diese beruhen auf einer inneren Verarbeitungsschwäche oder (zu starken) äußeren Einflüssen, die durch das eigene Abwehrsystem (Abwehr-Wei-Qi) nicht gegenreguliert werden können. Ebenso können die Ursachen auf geistig-seelischer Ebene zu finden sein, die wiederum das energetische Körper-Geist-System ins Ungleichgewicht bringen.
Die Paracelsus-Medizin verwendet dafür die Lehre der Fünf Entien, die in der Sprache des 15. Jahrhunderts die gleichen Aussagen trifft: „Merket wohl, es gibt fünf Entien, die alle Krankheiten schaffen und verursachen. So wisset denn, daß es fünferlei Pestilenz gibt, nicht mit Bezug auf ihre Natur, ihr Wesen, ihre Form oder Gestalt, sondern bezüglich ihrer Entstehung, mögen sie sich auch später in jeder beliebigen Weise äußern. Es gibt so fünf Arten jeder Krankheit.“ (Paracelsus, 1493-1541)
So stehen in beiden Traditionen nicht die Krankheit und das Symptom im Mittelpunkt, sondern die Entstehung und die beabsichtigte Regulationswirkung der jeweiligen Symptomatik. Das Heilmittel oder die Therapie wirkt der Entstehung der Erkrankung entgegen und reguliert das System wieder ins Gleichgewicht, sodass der Körper die Symptomatik nicht weiter benötigt.
Im Folgenden sollen ausgewählte Mittel nach Alexander von Bernus (Solunate) und deren Wirkkräfte in der Sprache beider Traditionen vorgestellt werden. So können Sie auch als Anwender der Chinesischen Medizin die Mittel aus Ihrem Denksystem heraus rezeptieren.
Qi-Aufbau – Energetisierung durch Rhythmus
Qi-Mangel ist ein sehr verbreiteter Zustand unserer Zeit. Die zunehmende Entnaturalisierung des menschlichen Wesens in unserem industrialisierten Alltag kostet seinen Preis. Die vergangenen Jahre der Desozialisierung und der Angst kommen dazu. Die Liste der möglichen Symptome ist vielfältig (Erschöpfung, Gereiztheit, Verdauungsbeschwerden, Immunschwäche etc.). Ein unspezifisches rerhythmisierendes Therapievorgehen kann den Patienten unterstützen, in seine Natürlichkeit zurückzufinden. Die in Tab. 2 und 3 aufgeführten Arzneien können dabei Hilfestellung bieten. Eine Therapiedauer von mindestens 4-8 Wochen ist anzustreben.
Organmittel – Stabilisierung der Zang-Fu-Organsysteme
Paracelsus erkannte, dass die Organe wesentliche Beiträge zur inneren Regulation leisten. Dabei beschränkte er sich jedoch nicht auf die stofflich und physisch nachweisbaren Funktionen und chemischen Prozesse. Genau wie in der Chinesischen Medizin wurden den „Organen“ weitläufige Regelkreise zugeordnet, wie wir sie auch in der deutschen Sprache wiederfinden. Es „schlägt uns auf den Magen“ oder „geht uns an die Nieren“. Durch die Stärkung der Organe werden diese nicht nur selbst positiv beeinflusst, sondern auch der gesamte Regelkreis mit seinen ausgleichenden Funktionen stabilisiert.
Das Herz
Geist, Lebensfreude, Ich-Bewusstsein, Zentrum, Achse, körperlicher Taktgeber
Das Herz ist der Herrscher über alle Organe, ein Herzversagen führt unmittelbar zum Tod. Es ist aus ganzheitlicher Sicht für das Blut und damit den Sitz des Geistes verantwortlich. Somit ist das Herz das Zentrum des „Ich-Bewusstseins“, der Quell von Freud und Leid. Das hier empfohlene Organmittel ist das Solunat Nr. 5 (Cordiak), wovon morgens und mittags 5-8 Tropfen eingenommen werden sollen.
Leber und Galle
Wachstum, Verarbeitung, Bewegung, Zuwendung
Die Leber ist ein „kontaktfreudiges Organ“. Ihr Geist bringt uns in Verbindung mit unserer Umwelt, vorwiegend nutzen wir dazu den Sehsinn. Im Körperinneren ist es die Aufgabe des Regelkreises, für Fluss zu sorgen (z.B. Galle, Energiefluss, Verdauung). Innere und äußere Stagnation führen zu Verdruss, Verbitterung und Zorn. Diese Kraft, die Druck und Spannung erzeugt, vermag Altes und Verbrauchtes zu überwinden. Das Mittel der Wahl ist Solunat Nr. 8 (Hepatik) mit einer Dosierungsempfehlung von 3x täglich 5-10 Tropfen. Achten Sie darauf, die Dosis langsam zu steigern, da bei einigen Patienten Durchfall, innere sowie nächtliche Unruhe und „Ameisenlaufen“ auftreten können.
Anwendung auf körperlicher Ebene: Hepatik stärkt den Leberstoffwechsel und die Entgiftungskraft der Leber, regt den Gallenfluss an (cave: nicht bei intrahepatischem Ikterus verwenden).
Anwendung auf geistig-seelischer Ebene: Solunat Nr. 8 stärkt die Verarbeitungskraft, die Anpassungsfähigkeit, die Fähigkeit, im Hier und Jetzt zu leben, die Kraft, Grenzen auszusprechen und durchzusetzen sowie Dinge überwinden zu können.
Wirkung der östlichen Nomenklatur: Das Organmittel glättet das Leber-Qi, nährt das Leber-Yin, beruhigt das Leber-Yang (Feuer), regt den Gallenfluss an und ist ein Säfte-Tonikum.
Die Lunge
Austausch, Öffnung, Rhythmus
Die Lunge ist natürlich das Organ der Atmung und versorgt uns mit Sauerstoff, der Grundlage des Energiestoffwechsels. Sie sorgt für den inneren Rhythmus und kommt „außer Puste“, wenn wir zu schnell werden. Auf der körperlichen Ebene bedarf es zur Öffnung des Lungensystems der Entfaltung des Brustkorbs. Diese Pulsation führt zur Fortbewegung der Körperenergie unter der Haut bis zu den Extremitäten. Um den Regelkreis der Lunge zu stärken, empfiehlt sich Solunat Nr. 15 (Pulmonik). Vor allem bei akuten Erkrankungszuständen der Lunge können höhere Dosierungen verordnet werden (bis zu 5x täglich 15-20 Tropfen), zur Organstärkung rezeptieren wir 3x täglich 10-15 Tropfen.
Anwendung auf körperlicher Ebene: Pulmonik stärkt die Lunge bei Erkrankungen des Atemsystems, bei merkuriellen Belastungen des Nervensystems, z.B. bei Störungen der Impulsweiterleitung (Stottern, Legasthenie, Koordinationsprobleme, Lähmungen, Zittern).
Anwendung auf geistig-seelischer Ebene: Solunat Nr. 15 dient der geistigen Aufnahme und Feinfühligkeit, stärkt die Kommunikationskraft, Offenheit für Neues und motiviert, Emotionen zu zeigen.
Wirkung der östlichen Nomenklatur: Das Organmittel stärkt das Lungen-Qi und den Lungen-Rhythmus, transformiert Schleim.
Die Nieren
Ursprung, Quelle, Inkarnation, Dualität, Anziehung, Lebenslust, Lust
Die Nieren sind der Quell unserer Lebenslust und unserer Lebensenergie. Sie speichern die Essenz und bergen die Kraft für Fortpflanzung und Wachstum. Ihre Fähigkeit, die Körperflüssigkeiten und das Blut zu filtern, sorgt für die Reinheit, die für die Funktion aller Organe notwendig ist. Die Unterstützung des Nieren-Regelkreises erfolgt mit Hilfe von Solunat Nr. 16 (Renalin). Auch hier sind erfahrungsgemäß höhere Dosierungen empfehlenswert (3x täglich 10-20 Tropfen), v.a. wenn die Ausleitung gestärkt werden soll.
Anwendung auf körperlicher Ebene: Renalin stärkt die Entgiftungskraft der Nieren, den unteren Rücken und die Bein-/Kniekraft, zudem regt es die Diurese an.
Anwendung auf geistig-seelischer Ebene: Solunat Nr. 15 stärkt die Lebenslust, das Begehren (Venus), das Urvertrauen, die Bindungsfähigkeit und hilft bei emotionalen Verletzungen.
Wirkung der östlichen Nomenklatur: Das Organmittel unterstützt das Nieren-Yin und die Essenz bei Geburt und Tod, es wirkt beruhigend und wärmend.
Milz und Magen
Verdauung, Mitte, Grenze, Ausgleich, hebende Kraft, Intellekt
Die Kraft der Milz wird der geistigen und körperlichen Verdauung zugeordnet. Sie entzieht dem Speisebrei die Energie und dem Text den Inhalt. Dabei kann es auf beiden Ebenen zu Verwirrung und Verschleimung kommen. Die Aufgabe der Milz ist es, für Klarheit der Säfte und des Geistes zu sorgen. Bevor wir das Erlebte und Verspeiste verdauen können, müssen wir es auf- oder annehmen. Das ist die Aufgabe des Magens. Der Verdauungsprozess hebt die Energie nach oben an, was zu Leichtigkeit und Klarheit im Kopf führt und dem Körper ein erhebendes Gefühl ermöglicht. Zur Unterstützung dieses Regelkreises können Sie Solunat Nr. 18 (Splenetik) mit 3x täglich 10 Tropfen rezeptieren.
Anwendung auf körperlicher Ebene: Splenetik stärkt Milz und Pankreas, die Wandlungs- und Transformationskraft ebendieser (flüssig-schleimig-fest-schleimig-flüssig), hilft bei Steinproblemen und „Milzwassersucht“.
Anwendung auf geistig-seelischer Ebene: Solunat Nr. 18 trennt das Klare vom „Trüben“, unterstützt klares Denken und Sprechen, Konzentration, Intellekt und hilft, Grenzen zu erkennen.
Wirkung der östlichen Nomenklatur: Das Organmittel regt den Speichelfluss an, stärkt die hebende Leichtkraft der Milz, das Milz-Qi und die Konzentrationskraft Yi. Es hebt das Blut aus den Beinen und richtet den Körper über der Milz auf.
Wollen wir den Magen stützen, so verwenden wir Solunat Nr. 19 (Stomachik I) mit einer Dosierung von 3x täglich 10 Tropfen.
Anwendung auf körperlicher Ebene: Stomachik I stärkt die Verdauungssäfte, entkrampft den Magen, unterstützt bei dyspeptischen Beschwerden, Appetitlosigkeit und nervösem Magen.
Anwendung auf geistig-seelischer Ebene: Solunat Nr. 19 hilft, den „Brocken zu schlucken“, anzunehmen, um zu verdauen, regt das innere Feuer an, gibt Kraft bei Depression und Lethargie.
Wirkung der östlichen Nomenklatur: Das Organmittel stärkt und bewegt das Magen-Qi sowie die Säfte, transformiert Schleim, senkt das Magen-Qi (Yang/Feuer).
Fazit
Die Anwendung metallischer und pflanzlicher Arzneimittel in spezieller alchemistischer Aufbereitung (Spagyrik) zählt zu den Kulturschätzen der westlichen Medizin. Auch die Chinesische Medizin ist bekannt für die außergewöhnliche Heilwirkung der Rezepturen ihrer Phytotherapie. Natürlich verwenden wir in unseren spagyrischen westlichen Heilmitteln die heimischen Pflanzen und Ressourcen, die uns die Natur vor Ort zur Verfügung stellt. Patienten sind heute sehr offen für die westliche Pflanzentherapie, und wir Behandler setzen großes Vertrauen in diese Therapieform. Vor allem in der aktuellen Zeit können wir die grenzüberschreitende Vernetzung und den erleichterten Zugriff zum Wissen nutzen, um kulturelle und sprachliche Hürden zu meistern.
Markus Ruppert
Heilpraktiker mit Schwerpunkten Chinesische Medizin, Spagyrik und Traumatherapie, Qigong-Lehrer, Autor
markus@naturheilpraxisruppert.de
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