aus dem Paracelsus Magazin: Ausgabe 5/2024
SOULFOOD gegen Stressvergiftung
Wenn ich Ihnen sage „Mit Stress können wir uns vergiften“, dann werden Sie mir sicher zustimmen. Gleichen wir aber ab, was Einzelne unter Stress verstehen, dann wird dieses komplexe Phänomen offensichtlich: Für unseren Nachbarn, ein ausgeprägtes Bewegungsnaturell, ist Laufen durch den Wald Entspannung pur. Die großartige Frau Wilma Castrian, fast ein reines Ernährungsnaturell, sagte darüber: „Mein Naturell möchte so etwas nicht“. Und wir wissen heute, dass selbst Langeweile Stress verursachen kann. Aber damit nicht genug:
Wir vergiften uns heute nicht nur mit individuellen Stressoren, sondern auch mit Lebensmittelfarbstoffen, Konservierungs- und Zusatzstoffen, mit Medikamenten, Fastfood, Luftverschmutzung und Lärm, mit Nachrichten, Informationen und Filmen (Ausnahme: Tampopo – Zen oder die Kunst, eine Nudelsuppe zu kochen) sowie mit toxischen Zeitgenossen, Herumbrüllern und was dergleichen Dinge mehr sind. Vergiftungen sind heutzutage unvermeidlich. Diese ebenso substanziellen wie sozialen Vergiftungen sind mir manchmal so allgegenwärtig, dass ich sagen könnte: „Ich glaube, ich erbreche mich“.
Das tue ich dann aber doch nicht, sondern behalte, was mich vergiftet, bei mir. Sie können mich gern befragen, ich kann Ihnen im Einzelnen sagen, was mir die Zeit verdirbt. Und all dieses Zeug sammelt sich und setzt sich ab. Hierbei kommt ein Hunger auf, der
jedoch kaum noch zu stillen ist. Die beste Antwort, die mir für diese Sehnsucht, für diesen Hunger einfällt, lautet: Soulfood. Die Dinge, von denen wir sagen: „Das war jetzt wirklich gut“. Können Sie sich an Ihr letztes Soulfood erinnern?
Nun ist das Leben kein Zuckerschlecken, aber so ein oder zwei Mal am Tag etwas wirklich Gutes, das wäre schon schick. Nur: Was darf’s denn sein? Ich weiß mittlerweile, dass mich Musik entgiftet, weil sie mich ganz einnimmt und bis ins Innerste berührt. Zu viel Ärger? Bei der Heilung hilft mir eine Band aus Dänemark, Deutschland und Norwegen. Fast nur Hektik? Brian Eno verlangsamt mich mit einer 6-Stunden-Version seiner Kompositionen. Zu viel, zu viel, zu viel von allem? Meine einsame Berghütte am See steht schon, wenn auch nur in meiner Phantasie. Allein, dass meine Rechtschreibprüfung „Fantasie“ statt „Phantasie“ von mir verlangt, verstopft mich. Schneller, simpler, doofer? Fühlt denn kaum noch jemand diesen Verlust an Würde, der in der Thür und den Thränen von Matthias Claudius noch enthalten ist? Das kann doch nicht wahr sein!
Und diese Art von belastenden Konfrontationen nimmt täglich zu. KI will für mich schreiben, malen und Musik machen, anstatt die Wäsche und den Haushalt zu erledigen. Eine einzige große Plagiats-Maschine (Noam Chomsky) ohne jede Neugier und mit Gefühls-Surrogat-Ersatz. Muss ich denn wirklich auf so viele Dinge verzichten? Es sieht danach aus. Also, ab in die Berghütte. Von Zeit zu Zeit kommen ein paar gute Freunde vorbei, wir pflegen die Stille oder machen zusammen Tee und Musik. Soulfood.
Und wenn das alles nicht mehr hilft? Wenn ich fürchten muss, dass sich der Schutt der Jahre ansammelt und mein Sein vergiftet? Dann brauche ich jemanden, der sich mit Ausleitung auskennt. Aber wer soll das sein, wenn nicht ich selbst?
Eine Detox-Kur für Körper, Geist und Seele kann wirklich umfassend sein: Tue weg, was dir Ballast ist und dich nur noch verlangsamt. Schaffe ab, was dir wehtut. Kenne deinen Rhythmus. Folge deinem Tempo. Achte deine Gefühle. Höre deine inneren Stimmen… Bei dem Radau? Der Zeitraum der Konzentrationsfähigkeit nimmt ab, die Menge hereinflutender Daten zu, Datenmüll vermehrt sich exponentiell.
Wisse, wo du zu Hause bist.
Die Entscheidungen, die mich befreien und in mein Zuhause führen, muss ich selbst treffen, das tut niemand für mich. So komme ich in die Selbstverantwortung. Mir gefällt das. Ich tue es selbst, oder es wird nicht getan.
Eine ganze Reihe von Dingen habe ich mittlerweile schon abgeschafft und erfolgreich aus meinem Leben ausgeleitet.
Kenntnisse über sich zu sammeln, daraus zu lernen und schließlich Konsequenzen zu ziehen, dem eigenen Sein eine Detox-Kur zu verpassen, das macht das Leben anspruchsvoller, aber auch erfüllender.
Thomas Schnura
Psychologe M.A., Heilpraktiker und Dozent
Thschnura@aol.com