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Naturheilkunde
Lesezeit: 5 Minuten

Die Konsequenzen fehlender Hyaluronidase bei Fillerbehandlungen

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In den vergangenen Jahren ist die Nachfrage nach minimal-invasiven ästhetischen Behandlungen deutlich angestiegen. Besonders Hyaluronsäure-Filler haben sich zu einer gängigen Methode in vielen Heilpraktikerpraxen entwickelt – sei es zur Faltenbehandlung, Volumengebung oder Korrektur von Gesichtsproportionen. Trotz ihrer weiten Verbreitung darf nicht übersehen werden, dass diese Behandlungen mit nicht unerheblichen Risiken verbunden sind, die im öffentlichen Diskurs zu wenig Beachtung finden. 

 

Eine zentrale Sicherheitsvorkehrung bei der Anwendung von Hyaluronsäure ist die allzeitige Verfügbarkeit von Hyaluronidase – einem Enzym, das injizierte Hyaluronsäure im Notfall schnell und wirksam auflösen kann. In Deutschland ist derzeit nur ein Präparat zugelassen: Hylase Dessau (Fa. Riemser Pharma). Im Herbst des vergangenen Jahres wurde bekannt, dass der Mutterkonzern Esteve Pharmaceuticals die Produktion dieses Medikaments aus wirtschaftlichen Gründen eingestellt hat. Derzeit sind lediglich Restbestände im Umlauf – ein Umstand, der die Behandlungssicherheit erheblich beeinträchtigt und für die Behandelnden auch rechtliche Konsequenzen mit sich bringt.  

 

 

RETTER IM ERNSTFALL

Hylase Dessau wird als Off-Label-Anwendung zur Korrektur misslungener Fillerbehandlungen eingesetzt, aber v. a. ist es Mittel der Wahl bei der Behandlung akuter Komplikationen nach Hyaluronsäure-Unterspritzungen. Dazu zählen intravaskuläre Injektionen und Gefäßkompressionen. Die schnelle Verabreichung von Hyaluronidase kann bei Gefäßverschlüssen Gewebe retten oder irreversible Schäden (z. B. Erblindung) verhindern. Hylase findet auch Einsatz im Nachgang zu lokalen allergischen Reaktionen auf das Fillermaterial, bei Granulomen und Biofilmen. Insofern ist es unverzichtbar für jeden Anwender von Hyaluronfillern. 

 

 

AKTUELLE VERSORGUNGSLAGE

Seit Herbst 2024 ist Hyaluronidase in Deutschland nur mehr eingeschränkt erhältlich. Praxen und Kliniken, die auf Nachschub angewiesen sind, stehen vor einem Dilemma: Entweder auf Fillerbehandlungen verzichten oder ohne Notfallmedikament arbeiten. Beides hat weitreichende Folgen. Die medizinische Betrachtung zeigt: Eine Behandlung ohne Hyaluronidase bedeutet ein relevant erhöhtes Sicherheitsrisiko. Die rechtliche Einordnung verschärft die Lage zusätzlich. 

 

 

RECHTLICHE BEWERTUNG

Fillerbehandlungen sind medizinische Eingriffe und unterliegen der Sorgfaltspflicht (BGH VI ZR 206/90, Urteil vom 29.01.1991). Diese beinhaltet bei Fillerbehandlungen neben einer umfassenden Aufklärung die sorgfältige Auswahl und Anwendung zugelassener Fillerprodukte, adäquate Nachsorge und ein wirksames Komplikationsmanagement. Diese Maßnahmen sind entscheidend, um die Sicherheit und Zufriedenheit des Patienten zu gewährleisten. 

 

Wer als Heilpraktiker mit Hyaluronsäure arbeitet, verpflichtet sich, alle erforderlichen Maßnahmen zur Vermeidung und Behandlung möglicher Schäden bereitzuhalten. 

 

Die Nutzung und Praxisverfügbarkeit von Hyaluronidase ist daher nicht optional, sondern gehört zum anerkannten Behandlungsstandard. Um diesen Grundsatz für die Ärzteschaft zu manifestieren, wurde eine Vorlage bei der AMWF angemeldet (S1-Leitlinie Management von Komplikationen bei ästhetischen Fillerinjektionen). Zwar haben ärztliche Leitlinien generell keine Gültigkeit im Bereich des Heilpraktikerwesens, doch gerade in diesem Fall ist nicht einzusehen, warum ein Sicherheitsstandard für dieselbe Tätigkeit, ob vom Arzt oder Heilpraktiker durchgeführt, zu unterschiedlichen rechtlichen Bewertungen kommen sollte. Im Umkehrschluss bedeutet dies: Wer Hylase bei einer Behandlung mit Hyaluronsäure nicht verfügbar hat, verstößt gegen diesen Standard, was im Haftungsfall als Behandlungsfehler gewertet werden kann. 

 

 

HAFTUNGSRISIKEN

Kommt es zu einer Nebenwirkung nach Fillerbehandlung, wäre zur Behebung derselben Hylase notwendig gewesen. War sie jedoch nicht verfügbar, wird das Gericht im Fall eines Rechtsstreits zu beurteilen haben, ob es sich um einen leichten oder einen schweren Behandlungsfehler handelt. Wird letzteres angenommen, kann dies final den Verlust der Heilpraktikererlaubnis zur Folge haben. Bei schweren Behandlungsfehlern erfolgt zudem eine Beweislastumkehr, d. h. der Heilpraktiker muss argumentieren und belegen, inwiefern sein Vorgehen trotzdem elementaren Grundsätzen entsprochen hat. Dies könnte schwierig werden. 

Zudem könnten strafrechtliche Aspekte greifen, etwa bei fahrlässiger Körperverletzung durch Unterlassung, wenn einem Patienten bei Fillerkomplikationen mangels verfügbarer Hylase nicht geholfen werden konnte. Versicherungsrechtlich ist zu beachten: Viele Berufshaftpflichtversicherungen schließen Behandlungen abseits des medizinischen Standards vom Versicherungsschutz aus. Das bedeutet: Im Fall einer Komplikation ohne verfügbares Gegenmittel (hier: Hyaluronidase) kann die Behandlung nicht abgedeckt sein, selbst wenn sie sonst fachlich korrekt erfolgt ist. 

 

Empfohlene Sicherheitsmaßnahmen: 

  • Behandlungen ausschließlich in anatomisch sicheren Arealen, z. B. Wangenregion, unter Vermeidung von Hochrisikozonen (z. B. Glabella, Nasenrücken, Schläfen). 

  • Verwendung stumpfer Kanülen (Blunt Cannulas) mit ausreichender Stärke statt scharfer Nadeln. Studien und Erfahrungswerte zeigen, dass stumpfe Kanülen das Risiko intravaskulärer Injektionen deutlich senken. 

  • Anwendung ausschließlich von Techniken, die sicher beherrscht werden. Wer sich bei der Injektionstechnik oder anatomischen Orientierung unsicher ist, sollte auf die Durchführung verzichten oder sich fortbilden. 

  • Aufklärung der Patienten über Risiken und eingeschränkte Behandlungsmöglichkeiten im Notfall. 

  • Sorgfältige Dokumentation, v. a. Indikation, verwendete Technik, Aufklärung über Risiken sowie fehlende Hyaluronidase-Versorgung. 

  • Behandlungsalternativen suchen. 

 

 

WAS TUN, WENN HYALURONIDASE FEHLT?

Angesichts der angespannten Marktlage sollten Praxen strategisch vorgehen: 

 

Bestand prüfen: Gibt es noch Restmengen, deren Haltbarkeit ausreichend ist? Diese sollten vorrangig für eine dringende Notfallversorgung reserviert werden. 

 

Behandlungen priorisieren: Nur erfahrene Therapeuten, die komplikationsarme Areale injizieren und risikoarme Techniken beherrschen, sollten derzeit Fillerbehandlungen durchführen. 

 

Patientensicherheit über Wirtschaftlichkeit stellen: Auch wenn wirtschaftlicher Druck besteht – Eingriffe ohne ausreichende Notfallvorsorge zu riskieren, ist weder ethisch noch juristisch vertretbar. 

 

Kommunikation anpassen: Patientenkommunikation, Website sowie Aufklärungsmaterialien sollten die veränderte Versorgungssituation transparent reflektieren. 

 

Fortbildung und Notfalltraining intensivieren: Die sichere Beherrschung anatomischer Strukturen, das Erkennen von Frühzeichen schwerer Komplikationen und das Training von Notfallprotokollen sind essenzielle Aspekte. 

 

Entwicklungen am Markt verfolgen: Derzeit wird in der Ärzteschaft intensiv nach Lösungen gesucht. Es wird zu klären sein, inwiefern als Kosmetikprodukt vermarktete Hyaluronidase- Präparate im Notfall eingesetzt werden dürfen. 

 

 

FAZIT

Vor diesem Hintergrund zeigt sich, dass Fillerbehandlungen ohne Hyaluronidase sowohl medizinisch als auch juristisch sehr riskant sind. Heilpraktiker sollten ihre Indikationsstellung streng überprüfen, Komplikationsrisiken mit den Patienten transparent besprechen und, wenn möglich, auf risikominimierte Alternativen ausweichen. 

BUCH-TIPP: Astrid Tomczak Rechtssicherheit in der Ästhetischen Medizin – Ihr Wegweiser durch die rechtlichen Fallstricke für Ärzte und Heilpraktiker Remote Verlag

Astrid Tomczak

LL.M. (Pharmarecht), Betriebswirtin, Heilpraktikerin, Expertin für Pharmarecht und Autorin, seit 2006 in der Ästhetischen Medizin tätig, Unternehmensberaterin (Market-Access-Strategien im ästhetischen Markt)

info@doctor-s-delight.de

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