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aus dem Paracelsus Magazin: Ausgabe 6/2020

Osteopathische Selbstbehandlung

Cover

Ein Geschenk für Patienten und Therapeuten

Warum Selbstbehandlung? Um die Patienten zu kurieren, gibt es doch uns Therapeuten, mögen Sie sich vielleicht sagen. Absolut richtig! Natürlich soll und kann die Möglichkeit der osteopathischen Selbstbehandlung uns Therapeuten keinesfalls ersetzen. Meiner Erfahrung nach ist sogar eher das Gegenteil der Fall: Es kommen mehr Patienten zu uns in die Praxis, wenn sie wissen, dass sie Übungen für zu Hause gezeigt bekommen. Denn die Bereitschaft und der Wille, selbst aktiv etwas für die Gesundheit zu tun, wächst spürbar.

Praktisch und sinnvoll

Viele Körperbereiche, die ursächlich an Problemen beteiligt sind, benötigen häufigere Korrekturen als im zwei- oder vierwöchigen Rhythmus, der üblichen Zeitspanne zwischen Praxisterminen. Die Möglichkeit der Selbstbehandlung kann diese Lücke füllen. Viele Patienten berichten jedoch, nie Übungen vom Therapeuten gezeigt bekommen zu haben. Dabei sind viele Vorteile mit einer Selbstbehandlung verbunden:

  • Der Behandlungserfolg kann gesteigert werden
  • Patienten werden ermächtigt und erhalten Kontrolle zurück
  • Patienten fühlen sich versichert, dass es wirklich um ihre Genesung geht
  • Patienten sehen die Anleitung zu Übungen als zusätzliche Kompetenz des Therapeuten
  • Weiterempfehlungen werden ausgesprochen
  • Wartezeiten auf Folgetermine und von Erstpatienten können überbrückt werden
  • Patienten kommen speziell, um für ihre individuelle Situation einen Übungsplan zu erhalten
  • Patienten kommen zur Kontrolle der Übungen wieder

Auch für uns Therapeuten selbst, egal ob Osteopath, Physiotherapeut oder Heilpraktiker, können Selbstbehandlungsmaßnahmen enorm wichtig sein. Denn Hand aufs Herz: Wir therapieren sicher auch nicht immer in optimaler Körperposition, und zuweilen gerät unser eigener Organismus aus der Balance.

Diese Erfahrungen haben meine Kollegin Marion Lechner und mich dazu veranlasst, uns intensiv mit der osteopathischen Selbstbehandlung als Hilfe zur Selbsthilfe zu beschäftigen. Es gibt viele einfache Möglichkeiten, mit ein wenig Hintergrundwissen und den richtigen Übungen selbst etwas zu tun – präventiv für die Gesundheit oder zur Heilung. Für Patienten sowie Therapeuten.

Die Wirbelsäule – das „Doppel-S“ als zentrale Achse

In diesem Artikel bespreche ich beispielhaft die Brust- und die Lendenwirbelsäule als wichtige Körperstrukturen.

Häufige Veränderungen und Beschwerdebilder, die mit diesen Wirbelsäulenabschnitten in Verbindung stehen, sind:

  • Wirbelblockaden
  • Bandscheibenprobleme
  • Muskuläre Verspannungen
  • Hexenschuss
  • Skoliose
  • Atemprobleme
  • Hohlkreuz
  • Rückenschmerzen
  • Leistenschmerzen

Bedeutung der Brustwirbelsäule

An ihren 12 Wirbelkörpern sind über Gelenke die Rippen befestigt, die nach vorn zum Brustbein verlaufen. Durch die Rippen wird die Brustwirbelsäule (BWS) zum unbeweglichsten Teil der Wirbelsäule. Wie die Halswirbelsäule (HWS) kann man auch die BWS nach vorn beugen und nach hinten strecken, zur Seite neigen und auch drehen. Sie ist durch ihre natürliche Krümmung nach hinten (Kyphose) weniger anfällig für Bandscheibenprobleme. Oft findet man dort muskuläre Verspannungen zwischen den Schulterblättern, die von Wirbelblockaden herrühren. Diese können begünstigt werden durch:

  • einseitige muskuläre Belastung.
  • Beckenschiefstand, bei dem der Körper zum Ausgleich in der Wirbelsäule eine Skoliose entwickelt, eine von frontal gesehene S-Form. Dies geschieht häufig, wenn der Beckenschiefstand schon im Kindes- und Jugendalter vorhanden war.
  • Fehlspannung auf den Hirnhäuten, die den gesamten Wirbelkanal auskleiden – oft sind mehrere Wirbel betroffen.
  • Verdauungsorgane, die Blockaden auf einzelnen Wirbeln verursachen (z.B. wenn die Leber überfordert oder die Gallenproduktion gestört ist, vermehrt Blähungen vorhanden sind, eine Enzymschwäche der Bauchspeicheldrüse besteht und damit mangelnde Aufspaltung der Nahrung verbunden ist). Die Probleme im Verdauungsorgan werden über ihre fasziale Aufhängung und die neuronale Ansteuerung an die Wirbelsäule übertragen und verursachen so Wirbelblockaden.

Bedeutung der Lendenwirbelsäule

Der Brustwirbelsäule schließt sich nach unten hin die Lendenwirbelsäule (LWS) mit ihren etwas größeren fünf Wirbeln und ihren Bandscheiben an. Auch die LWS kann sich nach vorn beugen und nach hinten strecken, was die Hauptbewegungen in diesem Wirbelsäulenabschnitt sind. Die Beuge-Streck-Bewegung ist wesentlich größer als in der BWS, weil im Lendenbereich keine Rippen mehr ansetzen. Die Drehung der LWS ist im Vergleich zu den zwei anderen Bewegungsdimensionen nur wenig möglich. Die Seitneigung wiederum hat einen wesentlich größeren Bewegungsspielraum als in der BWS.

In der LWS entstehen aufgrund ihrer natürlichen Krümmung nach vorn (Lordose) die meisten Probleme. Letztlich muss das ganze Gewicht des Oberkörpers auf der LWS getragen werden. Ist die Lordose verstärkt, entsteht ein Hohlkreuz, was einen steilen Winkel am Übergang von der Lendenwirbelsäule zum Kreuzbein bewirkt und die Bandscheiben einseitig komprimiert. Über längere Zeit verlieren die Bandscheiben dadurch ihre Elastizität und es kommt leichter zu Problemen. Während bei einer Bandscheibenvorwölbung (Protrusion) diese lediglich zwischen den Wirbelkörpern herausgedrückt wird, ist beim Vorfall (Prolaps) der Faserring der Bandscheibe geplatzt und die gallertartige Masse aus deren Innerem ausgetreten. Dabei können Nervenwurzeln zusammengedrückt werden, was zu Rückenschmerzen und Ausstrahlungen ins Bein führt.

Bei einem Hexenschuss sind die Bandscheiben in Ordnung, aber die Nerven können durch die hohen muskulären und faszialen Spannungen genauso komprimiert werden, was die typischen Symptome des ausstrahlenden Beinschmerzes verursacht. Zwischen den unteren Lendenwirbeln und aus dem Kreuzbein tritt der Plexus lumbosacralis aus, ein Geflecht,
das Beine und Becken mit Nerven versorgt, die für Bewegung und Gefühlsempfindungen verantwortlich sind. Der bekannteste Nerv ist der fingerdicke Ischiasnerv. Er verläuft hinten am Gesäß nach unten über das Bein bis zum Fußrücken. Ist der Nerv eingeengt, kommt es zu Schmerzen im Gesäß und am unteren Rücken. Kribbeln oder Taubheit in Wade oder Fuß sind ebenso möglich. In vielen Fällen können diese Beschwerden über eine Entspannung der verhärteten Muskeln und Faszien sowie entsprechende Übungen behandelt werden.

Wenn diese Symptome vorhanden sind, sollten sie vorsorglich bei einem Orthopäden oder Neurologen abgeklärt werden. Wie stark der Nerv beeinträchtigt ist, kann nur durch Tests (bildgebende Verfahren und Messungen der Nervenleitgeschwindigkeit) geklärt werden.

Die wichtigsten Muskeln

Sehen wir uns zwei Muskeln an, die an der Wirbelsäule ansetzen und essenziell für deren Funktionalität sind. Der Hüftbeugemuskel (Musculus iliopsoas) hat seinen Ursprung an der Lendenwirbelsäule und ihren Bandscheiben sowie am inneren Beckenkamm und verläuft hinunter zur Innenseite des Oberschenkels (Abb. 1). Er zieht diesen an und beugt den Rumpf in der Hüfte nach vorn.

Wie der Hüftbeuger steht auch der quadratische Lendenmuskel (Musculus quadratus lumborum) oft mit Rückenproblemen in Verbindung. Er hat durch seine Nähe zum Zwerchfell Einfluss auf dessen Beweglichkeit. Er setzt ebenfalls an Lendenwirbelsäule und unterster Rippe an und zieht zum hinteren Beckenkamm. Einerseits neigt er den Rumpf zur Seite, andererseits hilft er bei der Streckung der Lendenwirbelsäule nach hinten.

Ein Hohlkreuz kann durch zu viel Spannung in der Rückenmuskulatur zustande kommen, aber sich auch durch große Spannung im Hüftbeugemuskel entwickeln, wenn dadurch von vorn ein erhöhter Zug auf die Wirbelsäule entsteht. Ist der Hüftbeugemuskel über längere Zeit in erhöhter Spannung und Verkürzung (sitzende Position), kann das auf mehrere Strukturen Auswirkungen haben. Zum Beispiel liegt auf der rechten Körperseite der Übergang des Dünndarms zum Dickdarm in unmittelbarer Nähe zum Hüftbeugemuskel. Dieser Übergang kann ebenfalls eine zu hohe Spannung entwickeln und die Darmpassage behindern. Umgekehrt können mikrobielle und entzündliche Veränderungen im Darm Reizungen und Verkrampfungen im Hüftbeugemuskel verursachen.

Auch spielt der Hüftbeugemuskel durch seinen Ansatz an den Bandscheiben und Wirbelkörpern der LWS eine entscheidende Rolle bei Rückenschmerzen aller Art, v.a. bei Hexenschuss oder Bandscheibenvorfall. Er ist der Muskel, an den man zuerst denkt, wenn Schmerzen im Rücken beim Liegen oder nach dem Aufwachen vorhanden sind. Außerdem arbeitet das Zwerchfell in Abhängigkeit mit diesem wichtigen Muskel, was zu Atemproblemen oder Schmerzen im Brustbereich führen kann. Schließlich gleitet die Niere im Sinne der Organbeweglichkeit auf dem Hüftbeuger. Mit jeder Einatmung bewegt sie sich ca. 3 cm nach unten und mit der Ausatmung wieder nach oben. Über die Entspannung des Hüftbeugemuskels können wir auch direkten Einfluss auf Nierenleiden nehmen. Besonders dem Hüftbeugemuskel wird durch seine hohe Nervendichte die Speicherung emotionaler Erfahrungen zugesprochen. Jegliche Erfahrungen, v.a. emotional belastende, werden im Zellgedächtnis körperlich abgespeichert.

Nachdem Sie nun wissen, welche Strukturen auf welche Weise an Beschwerden im Brust- und im Lendenwirbelsäulenbereich beteiligt sein können, kommen wir in die Umsetzung. Lassen Sie uns mit einem Test- und Übungsbeispiel starten, um den Hüftbeugemuskel selbst zu überprüfen und zu behandeln.

Selbsttest

Spannungen im Hüftbeugemuskel erfühlen
Legen Sie sich mit dem Rücken auf eine Matte und stellen Sie die Beine auf (Abb. 2). Positionieren Sie die Finger einer oder beider Hände ausgehend vom vorderen Knochenvorsprung des rechten Beckens 3 Finger breit Richtung Körpermitte auf dem Unterbauch.

Lassen Sie die Finger mit etwas Druck langsam in die Tiefe sinken. Sie müssen mit den Fingern durch die schräge Bauchmuskulatur und die Darmschlingen fühlen, um den Hüftbeugemuskel zu erreichen. Nehmen Sie wahr, ob das Gewebe weich ist oder viel Spannung aufweist. Gehen Sie mit den Fingern so weit in die Tiefe, bis Sie eine härtere Längsstruktur fühlen können. Das ist der Hüftbeugemuskel. Verspüren Sie dabei Schmerz, ist der Muskel verspannt und verhärtet.

Um die richtige Position Ihrer Finger zu verifizieren, heben Sie das Bein der gleichen Seite etwa 1 cm an. Wenn Sie an der richtigen Stelle sind, sollten Sie in der Tiefe spüren, wie sich der Muskel anspannt.

Machen Sie dasselbe auf der anderen Seite und notieren Sie sich das Ergebnis.

Hinweis: Spüren Sie bereits beim sanften Abtasten Schmerzen, könnte dies auf eine verspannte Ileozökalklappe hinweisen (Übergang von Dünndarm zu Dickdarm).

Osteopathische Selbstbehandlung

Hüftbeugemuskel entspannen
Nehmen Sie dieselbe Position wie im Test ein. Gehen Sie mit den Fingern auf der Seite, die im Test schmerzhaft war, auf den Hüftbeugemuskel. Fixieren Sie den Muskel in der Tiefe durch leichten Druck in Richtung Boden.

Lassen Sie das Knie der gleichen Seite langsam nach außen sinken, bis es nicht weiter geht. Lassen Sie die Bauchmuskulatur dabei locker.

Strecken Sie nun das Bein langsam aus, indem Sie die Ferse auf der Matte von sich wegschieben.

Lösen Sie den Druck mit den Fingern auf dem Hüftbeugemuskel, während Sie das Bein wieder nach oben ziehen und anstellen.

Hatten Sie auch Schmerzen auf der anderen Seite, behandeln Sie diese wie beschrieben.

Wiederholen Sie die Behandlung 8x.

Nachtest

Wiederholen Sie den Test und bewerten Sie, ob sich der Schmerz am Muskel beim Anheben des Beins verringert hat. Hat sich nichts oder kaum etwas verändert, nehmen Sie die Übung in Ihren Tagesplan auf.

Fazit

Selbstbehandlungsübungen sind sowohl zur Vermittlung an Patienten als auch für Therapeuten zur Anwendung bei sich selbst hilfreich und erfolgsfördernd. Sie können präventiv oder zur Heilungsunterstützung in Kombination mit anderen Behandlungsansätzen eingesetzt werden. Die Palette ist groß und reicht von osteopathischen bis hin zu kräftigenden Übungen. Anfangs ist es sinnvoll, diese häufiger zu machen, bis eine erste Besserung eingetreten ist. Danach reicht es oft aus, einmal wöchentlich zu üben. Wie so oft im Leben gilt auch hier: Dranbleiben führt zum Ziel!

Dr. rer. nat. Torsten Pfitzer
Osteopath und Heilpraktiker mit Schwerpunkten ganzheitliche Schmerztherapie und Gesundheitscoaching
kontakt@drpfitzer.de

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