aus dem Paracelsus Magazin: Ausgabe 4/2021
Das Leben als Balance-Akt
Ausgeglichen leben und arbeiten
Unser Leben spielt sich von Beginn an im Spannungsfeld der Gegensätze ab: Zwischen Einatmen und Ausatmen, Aufnehmen und Ausscheiden, Beanspruchung und Regeneration. Man kann diese Polarität als ein Grundgesetz des Lebens betrachten. So ist das Abschalten-Können die notwendige Bedingung für dauerhafte Leistungsfähigkeit. Und bewusster Rückzug die Voraussetzung für echte Präsenz. Wer hingegen zu viel arbeitet, erhält im schlechtesten Fall eine Burnout-Diagnose.
Wie wir es auch drehen und wenden, klar ist: Wenn wir uns zu viel von dem einen und zu wenig von dem anderen gönnen, verbraucht unser Körper seine Ressourcen – das macht uns unausgeglichen und auf Dauer krank.
Machen wir uns diese feine Balance der Gegensätze bewusst, haben wir die Möglichkeit, mit Rücksicht auf unseren Körper, Geist und das soziale Miteinander bessere, weil gesündere Entscheidungen zu treffen. Werden die gegensätzlichen Kräfte balanciert, entsteht Ausgeglichenheit, und diese gewährt mehr Spielraum. Durch den freiwilligen und rhythmischen Wechsel zwischen den Polen wird unser Leben runder und harmonischer. Es entsteht Schönheit aus sich selbst heraus.
Balance im Alltag
Das Leben jedes Einzelnen setzt sich aus unendlich vielen Facetten zusammen. Diese sind beeinflussbar oder nicht. Angeboren, erarbeitet, erlitten oder zufällig erfahren. Einen allgemeingültigen Handlungsleitfaden für mehr Balance zu definieren, ist deshalb schwierig. Der Sinn von Ausgewogenheit im Alltag lässt sich jedoch gut anhand eines der Grundprinzipien des Lebens veranschaulichen: Es geht um die Polarität von Chaos und Ordnung.
Oft hat man das Gefühl, dass Chaos sich mehr oder weniger von allein ergibt und Ordnung immer wieder mühsam hergestellt werden muss. Doch jeder Moment im Leben eines Individuums bedeutet Handeln. Selbst das „Nicht-Handeln“ ist mit Blick auf die daraus entstehende Konsequenz eine Handlung. Hieraus lässt sich eine schöne Hilfestellung für die Balance im Leben ableiten, welche die beiden Komponenten „Ordnung“ (Handeln) und „Chaos“ (Nicht-Handeln) miteinander vereint. Balance heißt diesem Bild entsprechend, allem im Leben seinen rechtmäßigen Platz einzuräumen, sowohl im übertragenen Sinne als auch wortwörtlich.
Genauso, wie alles im Haushalt seinen Platz hat, damit Ordnung herrscht, benötigen auch nicht-materielle Dinge im Leben diese Gewahrwerdung. So kann man sich z.B. folgende Fragen stellen, wenn es um Gesundheit geht: Kann ich mir die Chips heute leisten? Welchen Stellenwert haben Snacks in meinem Leben? Sind sie für mich eher die Ausnahme oder die Regel? Treibe ich keinen Sport (Nicht-Handeln) und greife regelmäßig zu Chips & Co. (Handeln), ist meine Zuordnung möglicherweise nicht mehr sinnvoll. Zu wenig vom einen und zu viel vom anderen. Für gewöhnlich fühlt man sich unausgeglichen, wenn ein Part im Leben überhand gewinnt und ein anderer darunter leidet.
Um den Alltag in einer möglichst ausgewogenen Balance zu halten, ist es sinnvoll, diesen hin und wieder zu beleuchten. Objektiv, aber auch subjektiv. Daraus lassen sich Strategien ableiten, die beide Sichtweisen vereinen und zielgerichtetes Handeln ermöglichen. So sind einseitige Gewohnheiten (z.B. regelmäßiger Chips-Konsum) etablierte Programme, die vom Gehirn gelernt wurden und später nur noch unbewusst oder reflexhaft ablaufen. Bereits eingerichtete Gewohnheitsprogramme wieder umzuschreiben, ist für Gehirn und Körper Schwerstarbeit. Gelingt es, ist das Erfolgserlebnis umso größer.
Balance im Alltag bedeutet, sich seiner bestehenden Programme bewusst zu werden, diese immer wieder aufs Neue zu reflektieren und Tag für Tag einen Ausgleich zu schaffen. Balance bedeutet auch, wenn man viel an sich arbeitet, es dann auch mal gut sein zu lassen. Sich jenseits von kurzfristigen Belohnungsstrategien wahrhaftig etwas Gutes zu tun, das einem längerfristig ein gutes Gefühl gibt.
Balance im Alltag bedeutet auch, sich selbst wichtig zu nehmen und zugleich locker zu bleiben. Sich nicht zu verurteilen und trotzdem ehrlich zu sich selbst zu sein. Nicht zu viel von sich zu erwarten und gleichzeitig einen angemessenen Anspruch an sich selbst zu definieren. Zu erkennen und zu benennen, wo man zu viel hat und wo etwas fehlt.
Ein fundamentaler Kompass hierbei ist die innere Stimme. Mal ist sie leise, ein anderes Mal lauter. Manchmal so laut, dass wir sie stumm geschaltet haben oder übertünchen. Aus Selbstschutz. Und ganz oft mit Hilfe der erwähnten Belohnungs- oder Ablenkungsstrategien.
Wenn wir uns jedoch einen geschützten Rahmen suchen, können wir versuchen, dieser Stimme, die wir oft nicht hören wollen, gezielt zu lauschen. Im Folgenden finden Sie einige Fragen, die Sie dabei unterstützen, sich Ihren aktuellen Status quo bewusst zu machen. Es ist sinnvoll, sich diese oder auch selbst formulierte Fragen in regelmäßigen Abständen zu stellen und sie ggf. an einem Ort aufzuhängen, den Sie regelmäßig betrachten.
Fragen für den Alltag
- Was brauchen Körper, Geist und Seele, um sich rundum wohlzufühlen?
- Wo bin ich ausgeglichen?
- Wo habe ich einseitige Gewohnheiten?
- Was könnte der Ausgleich dazu sein?
- Wie kann ich mir die Zeit für diesen Ausgleich nachhaltig einräumen?
Balance im Arbeitsalltag
Die meisten von uns verbringen einen Großteil ihrer Zeit am Arbeitsplatz. Ganz gleich, wie sich diese gestaltet, ob sie durch körperliche Arbeit oder Bürotätigkeiten gekennzeichnet ist – auch hier ist es wichtig, die Situation, in die man sich täglich hineinbegibt, immer wieder aktiv zu beleuchten und zu hinterfragen.
Im Rahmen unserer beruflichen Tätigkeit peilen wir ein gemeinsames, größeres Ziel an und handeln im Interesse der Firma, für die wir arbeiten. Doch auch im beruflichen Bereich
ist es wichtig, sich selbst im Blick zu behalten. Denn wer sich am Arbeitsplatz wohlfühlt und die Gesundheit von Körper und Geist mit einbezieht, ist motivierter, arbeitet effizienter und wird selten krank.
Schon die Vorbereitung auf den Arbeitstag ist ein Akt der Selbstfürsorge. Während der Arbeit regelmäßig Pausen einlegen und auf gesunde Snacks und Getränke zurückgreifen zu können, tut Körper und Geist gut. Ganz klar die Königsklasse eines bewusst gestalteten, gesunden Arbeitstages.
Gehen wir von einem Bürojob aus, ist auch das Thema „gesundes Sitzen“ zu betrachten, denn als „Schreibtischtäter“ verbringen wir für gewöhnlich den größten Teil des Tages im Sitzen: Gerade aufgestanden, lockt schon der Stuhl am Frühstückstisch. Später fahren wir mit Auto, Bus oder Bahn ins Büro. Vom Schreibtisch geht’s an den Mittagstisch und wieder zurück. Abends wieder sitzend zurück nach Hause. Dort lässt man nach dem Abendessen den Tag gemütlich auf der Couch ausklingen. Ganz abgesehen von vielen anderen Sitzgelegenheiten, die sich andernorts von früh bis spät anbieten.
Heute leidet bereits jeder 3. Erwachsene in Deutschland an Rückenproblemen aufgrund dauerhafter Fehlhaltungen. Ein klarer Fall: Vor allem diejenigen, die einen Bürojob haben, benötigen auch am Arbeitsplatz einen bewussten Ausgleich, um dauerhaft leistungsfähig und gesund zu bleiben. Wie könnte sich dieser gestalten?
Zuallererst sind ein ergonomisch eingerichteter Arbeitsplatz und die Anschaffung geeigneter Büromöbel für die Rückengesundheit sinnvoll. Um einen guten Bürostuhl ausfindig zu machen, achten Sie darauf, dass er auf die eigenen Körpermaße und das persönliche Gewicht einstellbar ist, sich der Form der Wirbelsäule anpasst und diese aufrecht hält. Mit einer kurzen Sitzfläche wird sichergestellt, dass Kontakt zur Rückenlehne besteht. Der Bürostuhl sollte in der Lage sein, mit den Bewegungen des Nutzers mitzugehen und den Körper so aktiv zu halten. Daneben gibt es höhenverstellbare Schreibtische oder kostengünstige Aufsätze, die aus einem Sitz-Arbeitsplatz im Handumdrehen einen Steh-Arbeitsplatz zaubern.
Im Grunde genommen ist es ideal, wann man einen Arbeitsplatz schaffen kann, der den Körper im stetigen Wechsel zwischen Belastung und Entlastung unterstützt. Mit dieser Art der Bewegungsförderung bleibt man agiler und energiegeladener. Man kann in seinen Aufgaben „versinken“, ohne versunken im Sessel zu versteifen. Nahezu nebenbei wird eine gesunde Haltemuskulatur gefördert oder aufgebaut.
Mit diesen Fragen ist es möglich, die Grundgegebenheiten sich wiederholender Tätigkeiten zu optimieren und die Balance am Arbeitsplatz im Blick zu behalten.
Fragen für den Arbeitsplatz
- Ist meine Umgebung auf die Bedürfnisse meines Körpers abgestimmt?
- Wie ist mein Arbeitsplatz eingerichtet?
- Habe ich die optimalen äußeren Voraussetzungen, z.B. Mobiliar und Hilfsmittel, um mich ganz auf meine Aufgabe zu konzentrieren?
- Welche einseitigen Bewegungen oder Haltungen nehme ich im Laufe meines Arbeitstages regelmäßig ein?
- Wie kann ich diesen entgegenwirken und einen Ausgleich für meinen Körper noch während der Arbeitszeit schaffen?
Balance der Muskulatur
Unvermeidbare einseitige Beanspruchungen erfordern einen Ausgleich. Nicht nur der Rücken wird am Schreibtisch stark gefordert, auch Arme und Hände sind mit Tastatur und Maus stets beschäftigt. Mit Blick auf das muskuläre Gleichgewicht besteht die Notwendigkeit, für entsprechendes Dehnen zu sorgen, damit die Flexibilität des Körpers erhalten bleibt.
Leichte Dehnübungen lassen sich einfach in den (Arbeits-)Alltag integrieren und sorgen für einen Frischekick zwischendurch. Lassen Sie uns gleich, während Sie diese Zeilen lesen, 2 Übungen ausprobieren, die Ihnen aufzeigen, wie es um den Dehnungsstatus der Muskulatur in Ihrem Unterarm bestellt ist.
Übung 1
Setzen Sie die Handflächen vor sich auf dem Schreibtisch so, dass Ihre Fingerspitzen zu Ihrem Körper und die Daumen nach außen zeigen. Strecken Sie die Ellenbogen durch und lehnen Sie sich zurück, soweit es Ihnen möglich ist, ohne dass sich Ihre Finger dabei krümmen. Prüfen Sie, ob mindestens ein rechter Winkel zwischen Handgelenken und Armen möglich ist. Halten Sie diese Position einige Sekunden.
Übung 2
Formen Sie Ihre Hände zu Fäusten und drehen Sie diese nach innen, bis die Handrücken zueinander zeigen. Legen Sie nun die Hände in dieser Position so weit wie möglich auf dem Tisch ab, bis ein spürbarer Dehnungsreiz entsteht. Halten Sie diese Position für einige Sekunden.
(Diese Übungen eignen sich übrigens hervorragend zur Vorbeugung des Karpaltunnelsyndroms.)
Fazit
Eine möglichst starke Ausgeglichenheit des eigenen Lebens anzustreben, ist ein stetiger Akt der Bewusstmachung aktueller Lebensumstände und Gewohnheiten sowie ein ehrlicher Blick auf das eigene Wohlbefinden. Sich dieser Arbeit an sich selbst im Alltag ausdrücklich Platz einzuräumen, ermöglicht es, eine dauerhaft flexible und jederzeit aktuelle Gewohnheit zu etablieren, die Bewusstsein für die Bedürfnisse schafft und das Lauschen auf die innere Stimme trainiert.
Bewusstes Ausbalancieren der körperlichen, geistigen und seelischen Bedürfnisse (sich dieser gewahr zu sein als auch ein bewusstes Reagieren auf sich ergebende Lebensumstände) ist ein Akt der Selbstfürsorge, der sich dauerhaft positiv auf das eigene Selbst sowie auf das gesamte Umfeld auswirkt.
Susanne Hollweck
Unternehmerin im Bereich
Ergonomie am Arbeitsplatz,
Astrosophin
Joana Friedrichs
PR-Expertin mit Schwerpunkten Ergonomie und Holismus
joana.friedrichs@gesundarbeiten.com
Foto: © electriceye I adobe.stock.com
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