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aus dem Paracelsus Magazin: Ausgabe 4/2021

Faszienrolle und Faszienkamm

Cover

Das Wort „Faszien“ stammt aus dem Lateinischen und bedeutet „Band, Bandage“. Form und Funktion im menschlichen Körper gehen jedoch weit über diese Definition hinaus.

Struktur und Flexibilität

Faszien bestehen aus Bindegewebe. Sie umhüllen und durchziehen unsere Körperstrukturen wie ein feinmaschiges Netzwerk und sorgen aufgrund ihrer unterschiedlichen Strukturen für Form, Halt und flexible Funktionalität. So steckt z.B. jeder einzelne Muskel in einer Faszien-Hülle wie in einem Strumpf. Er ist anhand seiner speziellen Form zu erkennen, auch seine Funktion ist klar definiert. Die Faszie ermöglicht ihm das Erfüllen seiner Aufgaben. Faszien umhüllen auch die inneren Organe und sind zwischen den Organen zu finden. Wie mehrere Tücher übereinander gedeckt, sichern sie die Position der Eingeweideteile. Damit diese an ihrem zugedachten Platz verbleiben und ihre Funktionen gewährleistet werden, ist hier zum einen eine gewisse Stabilität gefragt. Zum anderen müssen Herz, Lunge, Magen und Co. beweglich sein, um ihre Arbeit leisten zu können, weswegen wiederum Flexibilität gebraucht wird. Faszien und Bindegewebe gewährleisten aufgrund ihrer variierenden Elastizität bzw. Festigkeit beides. Sie haben einen wichtigen Anteil am gesamten Stoffwechselgeschehen des Körpers.

Zentrale Bedeutung für die Gesundheit

Es ist zwar bekannt, dass alles mit allem zusammenhängt. Dennoch ist es immer wieder überraschend, dass wir auf einfache Art und Weise viel dazu beitragen können, dass unser Wunderwerk Körper gesund bleibt.

Für beide notwendigen Komponenten, Erhalt der Stabilität und Elastizität der Faszien, sind neben Bewegung und ausgewogener Ernährung genügend Flüssigkeitszufuhr und Massage angezeigt.

Faszien- und Bindegewebe ist auch Flüssigkeitsspeicher. Durch ausreichendes Trinken, am besten Wasser, erhöhen wir die Geschmeidigkeit und sorgen für reibungslosen Nährstofftransport durch den Körper. Nicht zuletzt erhält das unsere Gesundheit. Zur Massage kommen wir später.

Von Null auf Hundert

Trotz all dieser Erkenntnisse ging die Mehrheit der Schulmediziner noch vor einigen Jahren davon aus, dass es sich bei Binde- bzw. Fasziengewebe überwiegend um Füll- und Stützmaterial handelt. Inzwischen sind diese Gewebestrukturen in den Fokus der modernen (Sport-)Medizin gerückt. Auch viele Laien können heute mit dem Wort „Faszien“ etwas anfangen. Im Fitness-, Beauty- und Wellness-Markt ist es fast schon zu einem Modebegriff geworden. Die Entwicklung der Faszienrolle Ende der 1990er-Jahre hat einen maßgeblichen Anteil an diesem Hype.

Fitness-Bereich, Physiotherapie, Reha-Medizin sowie moderne Sport-Medizin haben längst erkannt, dass das Behandeln der Faszien die Gewebeelastizität erhält, sogar verbessert. Ebenso trägt es zur Verkürzung der Regenerationszeit bei, z.B. im Leistungssport. Dehnübungen und unterschiedliche Formen der Massage regen den Lymphfluss an, stimulieren und trainieren Bindegewebe sowie Faszien und wirken auf innere Organe ein. Dieses „neu entdeckte“ Wissen hat eine lange Tradition.

Verwurzeltes Wissen

Wirft man einen Blick in die Medizingeschichte, entdeckt man, dass es schon vor Jahrzehnten Therapeuten und Wissenschaftler gab, die die Bindegewebeschichten unter der Haut erforschten.

Elisabeth Dicke, Hede Teirich-Leube
Vor über 80 Jahren beschäftigte sich die Physiotherapeutin Elisabeth Dicke mit den Theorien und Methoden der Faszien- und Bindegewebsbehandlung. Vielleicht aus einer Not heraus, denn Frau Dicke litt an einer massiven Durchblutungsstörung ihres rechten Beines. Durch ihre Selbstbehandlung im Bereich der Gesäßmuskulatur sowie des unteren Rückens per dehnender Massagestriche erzielte sie eine starke Verbesserung der Beindurchblutung. Später konnte sie auch eine Nierenkolik durch diese gezielten Massagestriche, hier im Bereich des Nierendreiecks bzw. Musculus quadratus lumborum, überwiegend ausgeführt mit den Fingerkuppen, deutlich lindern.

Die Erfolge von Elisabeth Dicke sorgten für Aufmerksamkeit bei Hede Teirich-Leube, Leiterin einer Schule für Krankengymnastik. Bei der Überprüfung von Methodik und Wirkung stellten beide Frauen fest, dass die manuelle Behandlung von Faszien und Bindegewebe die Funktion der inneren Organe beeinflusst. Über den cutiviszeralen Reflex erreicht man mit dieser Massagetechnik die Organe, die sich im gleichen Segment befinden. Elisabeth Dicke und Hede Teirich-Leube gelten heute als Entwicklerinnen der Bindegewebsmassage.

Ida Rolf
Annähernd zur gleichen Zeit interessierte sich in den USA die Biochemikerin Ida Rolf für Faszienstrukturen. Sie entdeckte, dass durch eine bestimmte Art von Druck- und Zugmanipulation am Muskel (am Fasziengewebe) nicht nur die gesamte Körperstatik positiv beeinflusst wird. Denn neben der „falschen“ Körperhaltung verschwanden durch diese Anwendungen auch Ängste und Depressionen bei den behandelten Probanden. Die nach ihrer Entwicklerin benannte Methode der manuellen Stimulation des Fasziengewebes ist das „Rolfing“.

James Cyriax
Auch der englische Orthopäde James Cyriax entdeckte in den 1940/50erJahren die Bedeutung des Fasziengewebes. Mit seinen Querfriktionen sorgten er und seine Schüler für eine starke Stimulation von Bindegewebe, Sehnen und Faszien. Die mit den Fingern oder ausschließlich den Daumen ausgeführten Massagebewegungen werden quer zu betroffenen und im Fokus stehenden Muskeln, Sehnen oder Bändern angesetzt.

Stephen Typaldos
Obwohl die genannten Damen und Herren anerkannte Therapeuten und Wissenschaftler waren, fanden Faszienbehandlungen früher wenig Beachtung und fristeten ein Nischendasein. Doch mit der Zeit entdeckten immer mehr Behandler, Heilpraktiker und Mediziner die Bedeutung dieses Gewebes unter der Haut. Zum Beispiel beschäftigte sich in den 1990er-Jahren der amerikanische Osteopath und Notfallmediziner Stephen Typaldos damit und entwickelte das Fasziendistorsionsmodell (FDM). Auch bei dieser Behandlungsmethode wird das Gewebe durch druckvolle und dehnende Massagegriffe behandelt. Patienten berichten von sehr guten Erfolgen bezüglich Symptomreduktion und Genesung.

Prävention: Selbst aktiv werden

Bei den o.g. Anwendungen ist der Patient auf einen gut geschulten Behandler angewiesen, der die Therapiegriffe fachgerecht durchführt. Für präventive Zwecke ist es aber auch möglich, seine Faszien selbst zu massieren: Von der Faszienrolle über Faszienbälle bis hin zur Erfindung des Faszienkamms gibt es heute wirkungsvolle Hilfsmittel für die Faszien(selbst) massage.

Zwar sind diese Massagetools in erster Linie für die Selbstbehandlung entwickelt worden, sie eignen sich aber auch für Therapeuten, um eine fachlich qualifizierte Behandlung zu unterstützen.

Übungen mit der Faszienrolle

Mit diesem Hilfsmittel kann man sehr gut die Faszien des Rückens erreichen. Legen Sie hierfür die Rolle auf den Boden oder eine Gymnastik matte. Anschließend setzen Sie sich mit dem Steißbein auf die Rolle und verschränken die Arme vor der Brust. Beide Füße sind fest auf dem Boden aufgestellt, die Knie gebeugt. Dann rollen Sie sich langsam über die Rolle, bis diese am Hinterkopf angekommen ist. Nach 3-5 Wiederholungen ist diese Rückenbehandlung beendet.

Mit der Rolle können Sie auch Oberschenkel und Gesäß behandeln. Sehr entspannend wirkt die Faszienrolle im Bereich der Muskel-/Faszienansätze am Hinterkopf, der Occipitallinie. Dafür legen Sie sich auf die Matte, die Faszienrolle setzen sie an der Hinterhauptslinie an (Abb. 1).

Anschließend drehen Sie den Kopf langsam und gleichmäßig 3-5-mal von der einen Seite auf die andere. Damit erreichen Sie eine gute „Ausarbeitung“ des oberen Nackengewebes und der Faszien am Hinterkopf. Für Patienten, die zu Spannungskopfschmerzen neigen, ist dies eine wirkungsvolle Präventivmaßnahme.

Der Faszienkamm ist ein neu entwickeltes Faszien-Massagetool, das eine sehr einfach durchzuführende Selbstmassage des gesamten Körpers ermöglicht. Die Anwendung kann täglich erfolgen, am besten morgens, und dauert 5-7 Minuten. So funktioniert’s:

Nehmen Sie den Kamm in die rechte Hand und beginnen Sie, diesen mit langsamen, gleichmäßigen „Strichen“ den rechten Unterschenkel entlang aufwärts in Richtung Knie zu ziehen (Abb. 2). Danach behandeln Sie in gleicher Weise den rechten Oberschenkel und das rechte Gesäß bis zum unteren Rücken. Wiederholen Sie diese Massagestriche 3-5 Mal. Anschließend führen Sie dieselben Aktionen an Ihrem linken Bein und Gesäß inkl. unterem Rücken aus.

Als nächstes folgt der Bauch: Ziehen Sie dafür den Faszienkamm von oberhalb der rechten Leiste beginnend bis zum unteren Rippenbogen unterhalb der Brust. Die nächste Massagelinie verläuft in der Mitte von unten, beginnend oberhalb der Schambehaarung, über den Bauchnabel wieder bis unter die Brust. Die dritte Massagelinie ziehen Sie, jetzt von links unten, oberhalb der Leiste beginnend, wie auf der rechten Seite bis hoch zur Brust. Auch hier führen Sie 3-7 Wiederholungen der einzelnen Strichführungen durch.

Anschließend behandeln Sie die Faszien im Bereich der Brustmuskulatur: Ziehen Sie den Kamm (in der linken Hand) von der Mitte des Brustbeins beginnend (unterhalb des Schlüsselbeins und oberhalb des Busenansatzes) in Richtung rechte Schulter. Nach 3-5 Wiederholungen behandeln Sie die linke Seite des Brustmuskels in gleicher Weise.

Nun massieren Sie Ihren rechten Arm vom Handrücken bis zur Schulter. Nach 3-5 Wiederholungen drehen Sie den Arm und behandeln die Innenseite von der Handinnenfläche bis zur Achselhöhle. Auch hier werden 3-5 Wiederholungen ausgeführt. Danach wird der linke Arm in gleicher Abfolge behandelt.

Abschließend folgt die Massage des Nackens. Dafür legen Sie den Faszienkamm rechts am Hinterkopf an und ziehen ihn mit sanftem Druck nach unten in Richtung Schulter. Nachdem Sie diese Massagestriche 3-5 Mal ausgeführt haben, behandeln Sie die linke Seite des Nackens in gleicher Form. Damit ist die Faszienmassage beendet.

Tipp für die Praxis

Der Faszienkamm ist auch für Therapeuten ein geeignetes Hilfsmittel, da sich damit eine Bindegewebs-/Faszienmassage am Patienten ausführen lässt, hier besonders bezogen auf die Gesäßmuskulatur, bei Spannungsschmerz im Bereich des Musculus piriformis und im Nackenanteil des Musculus trapezius (an der Occipitallinie beginnend).

Buch-Tipp
Carola Bleis
Faszien lösen
5 Minuten einfach zwischendurch
Triskel Verlag

Carola Bleis
Physiotherapeutin mit Schwerpunkten Bewegungstherapie und Massage, Yoga- und Feldenkrais-Lehrerin, Autorin
info@carolableis.de

Fotos: © XtravaganT I adobe.stock.com

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