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aus dem Paracelsus Magazin: Ausgabe 1/2023

Infektanfälligkeit im Kindergartenalter

Cover

Das kindliche Immunsystem in der Naturheilpraxis

Mich erreichen in letzter Zeit immer mehr Anrufe besorgter Eltern von Kindergarten- und Schulkindern. Fast täglich höre ich Sätze wie „Mein Kind ist dauerkrank.“ – „Es hat schon wieder Schnupfen.“ – „Mein Kind hört nichts mehr, hat dauernd Mittelohrentzündungen.“ – „Mein Kind hustet die ganze Nacht.“ – „Es fiebert ständig auf.“ Was können wir als Behandler tun? Welche Art der Begleitung schlagen wir den Eltern vor? Wie kann man dem kindlichen Immunsystem aus der „Dauerschleife Kranksein“ heraushelfen? Welches Hintergrundwissen ist wichtig und sollte kommuniziert werden? Darauf gehe ich in diesem Beitrag ein.

FALLSTUDIE
Wiederkehrende Infekte und Otitis media

Julia, 3 Jahre alt, kommt mit ihrer Mutter in meine Praxis. Ein blasses Kind mit grauer Gesichtsfarbe, geschwollenen Unterlidern, offenem Mund und offensichtlich verstopfter Nase. Ansonsten ist sie ein feines, zartes Mädchen, blond und blauäugig, lymphatisch, sehr schüchtern und anhänglich.

Bei der Anamnese erfahre ich, dass sie als erstes Kind der Familie nach einer unkomplizierten Schwangerschaft auf die Welt gekommen ist. „Die Geburt lief ohne Probleme ab, und das Stillen hat wunderbar funktioniert“, sagt die Mutter. Nach dem Abstillen im Alter von 10 Monaten und den üblichen Impfungen für dieses Alter kommt Julia in die Kita.

Mit 2 Jahren wird sie zum ersten Mal ernsthaft krank: Schnupfen, Husten und Fieber. Ein Rhinovirus wird diagnostiziert. Die zu diesem Zeitpunkt sehr besorgten Eltern geben bei 38,5 °C Körpertemperatur einen fiebersenkenden Saft, wonach die Temperatur auf unter 36,5 °C sinkt. Julia fühlt sich für ein paar Stunden wieder fast gesund, als ob nichts gewesen wäre.

Beginn der Dauerschleife

Nach 6 Stunden jedoch steigt das Fieber erneut auf 39,5 °C. Rechts kommen Ohrenschmerzen dazu. Wieder erfolgt eine aktive Fiebersenkung. Der anschließende Besuch beim Kinderarzt resultiert in einem Rezept für ein Antibiotikum und abschwellende Nasentropfen. Julia ist am nächsten Tag wiederhergestellt und kann in die Kita gehen. Drei Wochen später erleidet das Mädchen den nächsten Infekt: Schnupfen, Husten, Fieber und eine Otitis media. Es gibt Fiebersaft, der Kinderarzt verordnet erneut eine Antibiose. Im Laufe des darauffolgenden Winters wiederholt sich dieses Szenario noch weitere viermal.

Einbeziehen eines HNO-Arztes

Der Kinderarzt schickt Julia und ihre Eltern schließlich zum HNO-Arzt. Dieser attestiert, dass die Hörfähigkeit des Mädchens durch die vielen Mittelohrentzündungen sehr gelitten habe. Es liege ein Seromukotympanon (Erguss im Mittelohr) vor, und er rate zur Operation. Die Nasenpolypen müssten entfernt werden, und für den Abfluss des Ergusses im Mittelohr sollten Röhrchen ins Trommelfell eingesetzt werden, damit das Kind wieder gut hören könne.

Die Eltern wollen diese OP vermeiden und kommen daher zu mir in die Praxis. Sie fragen mich um Rat und bitten um eine homöopathisch-naturheilkundliche Begleitung.

Grundlagen

Anhand dieses Praxisfalls wird deutlich, wie wichtig es ist, dass wir als Behandler grundlegende Dinge mit den Eltern besprechen und beachten sollten.

  1. Veränderung der Sichtweise
    Fieber ist keine Krankheit, sondern ein Teil der körpereigenen Immunantwort. Es handelt sich um den Versuch des Körpers, eingedrungene Erreger zu bekämpfen und deren unkontrollierte Vermehrung im Organismus zu verhindern. Zum einen ist die Aktivität vieler Immunzellen (z.B. Granulozyten, Makrophagen, Lymphozyten) in einem Temperaturbereich zwischen 38 °C und 41 °C gesteigert. Zum anderen werden Wachstum und Vermehrung vieler Erreger unter erhöhter Körpertemperatur gehemmt. Wir können also davon ausgehen, dass ein kindlicher Organismus seine Kerntemperatur erhöht, um den Körper zu schützen.
  2. Fiebersenkung torpediert die Infektabwehr
    Häufigere Infekte sind bei Kindern also erst einmal völlig normal, denn ihr Immunsystem übt noch. Nehmen wir nun dem Kind das Fieber durch senkende Maßnahmen, stören wir auf diese Weise den inneren Arzt, der sich mit den Erregern auseinandersetzen will und muss. In der Folge müssen wir damit rechnen, dass das Immunsystem nicht optimal arbeiten kann und die Erreger den Körper überschwemmen. Ein schwererer Verlauf der Erkrankung kann entstehen, und infolgedessen werden Antibiotikagaben oft unumgänglich.
  3. Aufbau und Funktion des Immunsystems
    Unter dem Immunsystem des Menschen ist das biologische Abwehrsystem des Körpers zu verstehen, das aus physikalischen Barrieren, antimikrobiell wirksamen Flüssigkeiten, speziellen Proteinen und spezialisierten Zellen, Geweben und Organen gebildet wird. Seine Aufgabe ist die Bekämpfung und Eliminierung von Krankheitserregern, die unseren Organismus infiltrieren. Neben Bakterien können dies Viren, Pilze oder Parasiten sein. Physiologisch wird hierbei die unspezifische von der spezifischen Abwehr unterschieden, die jeweils in humorale und zelluläre Anteile differenziert werden. Alle Bereiche bauen aufeinander auf und stehen in Wechselwirkung zueinander.

Unspezifische Immunabwehr

Die unspezifischen Immunfunktionen sind angeboren, sie umfassen passive und aktive Abwehrmechanismen. Intakte Haut und Schleimhäute stellen die erste Schutzbarriere gegen das Eindringen von Krankheitserregern in den Körper dar. Auch das Flimmerepithel der Atemwege, die Magensäure und andere Sekrete sind in diesem Zusammenhang von Bedeutung. Ziel dieser passiven Abwehrlinien ist, Erreger nicht in den Körper gelangen zu lassen.

Die unspezifische zelluläre Abwehrarbeit wird von Makrophagen und Granulozyten geleistet. Sie erkennen Körperfremdes und vernichten es über Phagozytose (Aufnahme und Verdauung). Teile der verdauten Bestandteile werden wiederum den spezifischen Immunzellen als Antigene präsentiert, damit diese aktiv werden und ihre Arbeit machen können. Weiter können bestimmte Proteine Erreger „markieren“ und diese indirekt zum Platzen bringen. Daneben sorgt eine vom Körper ausgelöste Entzündungsreaktion u.a. für eine gute Durchblutung, sodass alle wichtigen Beteiligten schnell am Ort des Geschehens sein können.

Spezifische Immunabwehr

B-Lymphozyten, deren Antikörper (Immunglobuline) sowie verschiedene T-Lymphozytentypen bilden die wichtigsten Eckpfeiler der spezifischen, auf einen speziellen Krankheitserreger zugeschnittenen Immunabwehr. Diese Zellen gehen in Aktion, wenn sie Antigene erkannt haben. Die damit verbundenen spezifischen Mechanismen setzen anfangs zwar etwas verspätet ein, wirken jedoch effektiver und nachhaltiger. Bei erneutem Kontakt mit demselben Krankheitserreger kann nämlich auf das „abgespeicherte“ Wissen zurückgegriffen werden, der Eindringling wird schneller und ganz gezielt bekämpft. An anderer Stelle leiten spezielle Enzyme den kontrollierten „Selbstmord“ infizierter Zellen ein, deren Überreste phagozytiert werden.

Mikrobiota und Antibiose im Kindesalter

Viele Studien zeigen, dass Antibiosen während der Zeit der Entwicklung unserer Darmflora (erste 3 Lebensjahre) besonders fatal wirken. Das Abtöten von Krankheitserregern mag in erster Linie als lebensrettende Maßnahme gelten und dann auch gerechtfertigt sein, bei Bagatellerkrankungen sollten wir uns jedoch der Folgen bewusst sein – und auch der Verantwortung, die wir als Behandler unseren Patienten gegenüber haben.

Das gleichzeitige Abtöten von pathologischen Erregern und physiologischen Darmbakterien, die wir vornehmlich mit der Verarbeitung von Nahrungsbestandteilen in Verbindung bringen, hat gravierende Folgen für die Funktion unseres Immunsystems. Denn eine gestörte Darmflora kann nicht nur die Barrierefunktion der Darmschleimhaut hinfällig machen und den Körper samt Immunsystem überfordern – so sehen wir in neueren Studien Zusammenhänge zwischen der Mikrobiota im Darm und z.B. Autoimmun- oder chronisch entzündlichen Erkrankungen. Auch die Bakterien selbst spielen als Trainingspartner des Immunsystems eine große Rolle bei der Ausbildung unserer Immunkapazität. Wir brauchen die Mikrobiota zum Erwerb von Immunkompetenz und für die Reifung eines unfertigen (kindlichen) Immunsystems.

Krankheitsprophylaxe für kleine Patienten

Bevor wir uns der Frage nach einer geeigneten Therapie im Krankheitsfall zuwenden, müssen wir uns erst einmal fragen, wie wir den Aufbau und die Stabilität des kindlichen Immunsystems optimal unterstützen können. Es kommt ja völlig unreif zur Welt. Dazu ein paar Gedanken:

Bedeutung der Mutter
Wir sind darauf angewiesen, eine Art Initialzündung mit Hilfe des mütterlichen Immunsystems herzustellen. Neben einer natürlichen Geburt ist v.a. das Stillen als Grundlage für die Entwicklung des kindlichen Immunsystems zu betrachten. Denn die Muttermilch liefert nicht nur Immunglobuline, sondern auch viele nützliche Darmbakterien.

Umfeld
Viel Liebe und eine fröhliche Grundstimmung in der Familie, wenig seelische Belastungen und viel Bewegung stärken das Immunsystem aufgrund einer stabileren hormonellen Situation.

Trinkmenge
Genügend zu trinken, pflegt die Schleimhäute. Daneben werden Zellstoffwechsel und Nierenfunktion unterstützt. Dies ermöglicht eine höhere Widerstandskraft und eine bessere Entgiftung des Organismus.

Keimkontakt
Die Auseinandersetzung mit verschiedenen Keimen durch den Kontakt mit Geschwistern, Kita-Freunden und gepflegten (!) Haustieren sind langfristig immunstärkend.

Ernährung
Milchsauer betonte und chemiefreie, bunte und regionale Ernährung unterstützt die Darmflora und stärkt das kindliche Immunsystem.

Hemmende Einflüsse auf das Immunsystem

Viele Medikamente, u.a. Schmerzmittel, die auch zur Fiebersenkung eingesetzt werden, stören die Darmflora oder werden unter bestimmten Umständen anders als beabsichtigt resorbiert und verstoffwechselt, mit negativen Folgen. Eine unzureichend ausgebildete, immer wieder angegriffene oder in der Zusammensetzung „verschobene“ Mikrobiota stört und verzögert eine physiologische Ausreifung des kindlichen Immunsystems. In diesem Zusammenhang sei erwähnt, dass Kinder, die bereits sehr früh häufig fiebersenkende Medikamente erhalten haben, ein signifikant höheres Risiko haben, später an einer allergischen Erkrankung (z.B. Asthma) zu leiden. Auch Impfungen sollten deshalb genau beleuchtet werden.

Therapie

Zurück zu Julia. Unter Berücksichtigung der o.g. Aspekte baue ich meine Behandlung auf zwei Säulen auf und bespreche neben einer intensiven homöopathischen Begleitung des nächsten Infektes auch eine Darmsanierung.

Darmsanierung
Dazu empfehle ich eine Kur mit Symbioflor® (Fa. Symbiopharm), um die Mikrobiota nach den vielen Antibiotikagaben wieder aufzupäppeln und die Darmbarriere zu stärken. Bei dem Präparat handelt es sich um ein mikrobiologisches Mittel auf Basis der natürlichen Darmbakterien Enterococcus faecalis und Escherichia coli. Diese können das Immunsystem anregen und modulieren. Die Kur wird begonnen mit ProSymbioflor, Einnahme drei Wochen lang nach Anleitung. Danach folgt Symbioflor 1, wieder drei Wochen lang, und zum Abschluss wird Symbioflor 2 gegeben, ebenfalls über drei Wochen.

Homöopathie
Meine kleine Patientin bekommt Pulsatilla D30, morgens 5 Globuli. Pulsatilla ist ein Konstitutionsmittel für zarte, lymphatische Kinder, die zu Infekten neigen und besonders in den oberen Atemwegen Probleme mit zu viel Schleimbildung haben.

Ich entlasse die Familie mit der Warnung, dass die Krankheit noch einmal aufflammen werde, um danach wirklich auszuheilen.

Zwei Wochen später kommt der Anruf: Julia ist wieder krank. Die Begleitung erfolgt über intensive Pflege während des Fiebers mit Hilfe von Waden- und Zwiebelwickeln sowie Einreibungen (Salbeiöl am Ohr). Allgemein bieten sich während einer Erkrankung die Anwendung von Wickeln, Bädern und Einreibungen als unterstützende Maßnahmen zur Infektabwehr an.

Zusätzlich zu Pulsatilla D30 empfehle ich folgende Mittel:

Ferrum phosphoricum D12 (3×5 Globuli): Dies ist ein homöopathisches Schmerzmittel und wirkt immunstimulierend sowie durch die Anregung des Eisenstoffwechsels blutbildungsfördernd und entzündungshemmend.

Apis/Levisticum II Wala Globuli (5×5 Globuli für drei Tage): Es handelt sich um ein anthroposophisches Kombinationspräparat, das abschwellend, entzündungshemmend und schmerzstillend wirkt. Es ermöglicht die Harmonisierung des Zusammenwirkens von Ich- und Empfindungsorganisation bei akuten entzündlichen, schmerzhaften Erkrankungen im Nerven-Sinnes-System sowie im Stoffwechsel-Bewegungs-System, z.B. bei Mittelohrentzündungen.

Weiter rate ich im akuten Zustand zur Gabe von Aconitum Ohrentropfen (2×1 Tropfen täglich, warm ins schmerzende Ohr geträufelt).

Verlauf

Durch diese Begleitung kann der übliche Fiebersaft vermieden werden. Damit leiten wir die Wende im Krankheitsgeschehen ein. Nach einer Woche ist Julia wieder völlig gesund, und dieser Zustand bleibt über lange Zeit so.

Nach einem halben Jahr konsultiert die Familie noch einmal den HNO-Arzt. Er stellt fest, dass vom Erguss im Mittelohr nichts mehr zu sehen ist. Das Hörvermögen ist wieder normal und der Allgemeinzustand sehr gut. Erstaunt fragt der Arzt nach, was die Eltern gemacht hätten. Als diese von Heilpraktikerin, Homöopathie und Darmsanierung erzählen, kommentiert er leider nur sehr lapidar: Die Genesung sei dann sicher auf einen Placebo-Effekt zurückzuführen, und man könne bei Julia von einer Spontanheilung sprechen.

Ausblick

Julia ist nunmehr seit drei Jahren meine Patientin. Bis heute kam es nie wieder zu einer Otitis media. Ihr Hörvermögen ist einwandfrei und die altersgemäßen Infekte zur Reifung des Immunsystems verliefen mit homöopathischer Hilfe unspektakulär. Das Mädchen ist inzwischen ein fröhliches, gesundes Schulkind.

Fazit

Wir Therapeuten sind bei Bagatellerkrankungen aufgerufen, Eltern besser aufzuklären und das Kind in seinem natürlichen Entwicklungsprozess zu begleiten. Mehrere Infekte im Jahr sind bei Kindern völlig normal. Deshalb sollte es darum gehen, die Reifung des kindlichen Immunsystems gezielt zu unterstützen, anstatt sie zu unterdrücken. Dabei sollten Fiebersenker und Antibiosen (wenn möglich) vermieden werden. Arbeitet man homöopathisch, ist es ohnehin notwendig, über die Symptome hinaus zu blicken. Es gilt, Zusammenhänge zu erkennen und an den Ursachen der Erkrankung anzusetzen.

All das erfordert von Patienten und ihren Familien Offenheit und die Bereitschaft, einen anderen, womöglich bisher unbekannten Weg zu gehen. Besonders in der Kinderheilkunde sind hier viel Empathie und Fingerspitzengefühl gefragt, um der Familie Sicherheit zu vermitteln. Wichtigstes Ziel sollte es sein, dem kindlichen Immunsystem die Chance zu geben, trainieren zu können, damit es Infekte selbst überwinden kann.

Anne Sigmund
Heilpraktikerin mit Schwerpunkten Homöopathie, Anthroposophie, Bach-Blüten und Massagen, Beratung im Bereich Familien, Elternschaft und Erziehung

info@anne-sigmund.de

 

Foto: © krutenyuk / adobe.stock.com, © Jenny Sturm / adobe.stick.com

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