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aus dem Paracelsus Magazin: Ausgabe 1/2023

Wenn Mann ein Problem hat

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POTENZSTÖRUNGEN ganzheitlich behandeln

Unser heutiger Umgang mit Medizin ist leider noch immer von einer Reparatur-Denkweise gekennzeichnet. Für Vorbeugung geben wir derzeit nur knapp 4% unseres Gesundheitsbudgets aus. Dabei wäre die Maxime „Prävention statt Therapie“ wesentlich wirtschaftlicher. Wir Therapeuten sind daran nicht ganz unschuldig. Wenn es z.B. um Störungen der Sexualfunktion geht, werden im Praxisalltag Patienten mit gravierenden Potenzproblemen nicht immer verlässlich auf alle denkbaren Ursachen hin befragt und untersucht, sei es aus Zeitmangel, Unkenntnis oder Scham (ja, auch Therapeuten fühlen so etwas). Lassen Sie uns also den Blick weiten und den Mann und seine Probleme umfassender betrachten.

Schreckgespenst „Impotenz“

Unter Impotenz oder Erektiler Dysfunktion (ED) verstehen wir eine gestörte oder fehlende Erektion trotz sexueller Erregung. Laut der medizinischen Definition besteht eine Impotenz dann, wenn die Symptome mindestens sechs Monate andauern und einen befriedigenden Geschlechtsverkehr in über 70% der Versuche verhindern. Fast jeder zweite Mann über 50 leidet irgendwann in seinem Leben an solchen Erektionsstörungen, Tendenz steigend. Das entspricht etwa 6-8 Millionen. Männern in Deutschland. Trotzdem konsultiert nur schätzungsweise jeder zweite Betroffene einen Arzt, denn viele Männer haben bei einem so sensiblen Thema wie Erektionsstörungen eine hohe Hemmschwelle. Wenn es dann doch zum Arztbesuch kommt, wird der Betroffene oft mit gängigen Potenzpillen „abgespeist“.

Ursachen und Risikofaktoren

Erektionsstörungen sind sehr ernst zu nehmen, da sie mögliche Vorboten von Herz-Kreislauf-Ereignissen sein können. Die tiefen Penisarterien haben nur einen Innendurchmesser von 1-2 mm und zählen somit zu den empfindlichsten Blutgefäßen im männlichen Körper. Dies ist der Grund, warum Potenzstörungen bereits einige Jahre vor einem Herzinfarkt oder Schlaganfall auftreten können.

Gerade in jüngeren Jahren liegt es jedoch nicht immer nur an körperlichen Gründen, warum es mit dem Sex nicht funktioniert. Bei Männern unter 40 sind es oft psychische Ursachen, z.B. Stress, Unsicherheit oder Versagensängste. Bekannte Risikofaktoren sind das Alter, Rauchen, Bluthochdruck, Übergewicht, eine ungesunde Ernährung mit erhöhten Blutfetten, zu wenig Bewegung oder erhöhter Alkoholkonsum.

Bei systematischer Betrachtung können wir die möglichen Ursachen einteilen in Störungen

  • des Blutzuflusses
  • des Blutabflusses
  • der Nervenversorgung
  • des Hormonhaushaltes
  • der Psyche
  • durch andere Grunderkrankungen
  • durch Alkohol, Drogen oder Medikamente

Fünfsäuliges Therapiekonzept

Da oft multifaktorielle Aspekte für Impotenz verantwortlich sind und verschiedene Zugänge unterstützend wirken können, besteht meine ganzheitliche Therapie aus fünf Säulen:

  • Beckenboden-Training
  • Herz-Kreislauf-Training
  • Ernährung
  • Entspannung
  • Sexual- und Verhaltenstherapie

Beckenboden-Training

Ein regelmäßig durchgeführtes Beckenboden-Training verlangsamt den Blutrückfluss aus dem Penis, und hilft so, die Erektion länger zu halten. Die Belege aus der wissenschaftlichen Literatur zeigen: Beckenboden-Training ist eine wirksame, nicht-invasive, einfache und kostengünstige Option, die unbedingt in der ersten Therapielinie eingesetzt werden sollte. Regelmäßiges Beckenboden-Training führt zu festeren und härteren Erektionen – und Sex wiederum trainiert die Beckenbodenmuskeln.

Herz-Kreislauf-Training

Unter den Aspekten einer ungesunden Lebensweise ist körperliche Inaktivität der wichtigste Risikofaktor für die Entstehung der Erektilen Dysfunktion. Dabei hätte Bewegung erhebliche gesundheitliche Vorteile für Herz, Körper und Geist. Kurz zusammengefasst kann man sagen: Mit Sport lebt man mehrere Jahre länger. Fast alle Organsysteme werden durch Sport angekurbelt. Die Effekte sind vielfältig und gut dokumentiert. Ausdauersport verbessert das gesamte Herz-Kreislauf-System und speziell die arterielle Sauerstoff- und Blutversorgung der Schwellkörper.

Die Kombination macht’s

Das beste Training für Muskeln, Nerven, Herz und Lunge ist eine Kombination mehrerer Ansätze, nämlich eines gelenkschonenden Ausdauertrainings, wie z.B. Walking oder Radfahren, und eines kraftaufbauenden und koordinationsfördernden Gymnastikprogramms.

Gute Ausdauersportarten sind Schwimmen, Laufen, Gehen und Radfahren. Insbesondere Walken und Joggen sind auch für ältere Herren gut geeignet. Bei diesen Bewegungsabläufen werden bis zu 90% aller Muskeln beansprucht. Als Faustregel gilt: Man sollte ins Schwitzen kommen, sich aber noch unterhalten können. Für weitere Gesundheitsvorteile empfiehlt es sich, an zwei Tagen der Woche zusätzlich zu den Alltagsaktivitäten auch alle großen Muskelgruppen zu aktivieren, also „Krafttraining“ durchzuführen. Das ideale Programm besteht aus dem Heben schwerer Gewichte in kurzen Zeitintervallen oder einem Training der großen Muskelgruppen mit dem Eigengewicht, z.B. bei Kniebeugen, Klimmzügen oder Liegestützen.

Ernährung

Es gibt Bestandteile von Nahrungsmitteln, die einen Effekt auf die Sexualfunktion haben können.

Testosteronsenkende Lebensmittel
Wegen einer möglichen Absenkung des Testosteronspiegels ist Zurückhaltung bei Leinsamen, Minze, Tomaten und Gluten geboten. In Tierversuchen zeigte Minze eine deutliche Absenkung des Testosteronspiegels um bis zu 50%. Auch Tomaten reduzieren durch das enthaltene Lycopin den Testosteronspiegel.

Testosteronsteigernde Lebensmittel
Es gibt auch Pflanzen, die die Hormonbildung in unserem Körper anregen oder den Testosteronabbau drosseln. Steigern kann man Testosteron mit Pinienkernen, Kiefernpollen, Sellerie, Olivenblattextrakt, Mais, Knoblauch und viel Vitamin D, z.B. in Hering, Lachs, Hühnereigelb und Pilzen (Pfifferlinge, Champignons).

Östrogensenkende Lebensmittel
Eine Reduktion von Östrogen erreicht man mit Champignons, Zwiebeln, Granatäpfeln, Kohl und Brennnesselwurzeln. Sie hemmen das Enzym Aromatose, das Testosteron in das weibliche Hormon Östrogen umwandelt.

Einfluss auf die Durchblutung

Einige Mikronährstoffe, Pflanzenbestandteile und Aminosäuren wirken sich positiv auf die Durchblutung aus:

Der Aminosäure L-Arginin werden potenzsteigernde Eigenschaften zugeschrieben, da sie für die Produktion von Stickstoffmonoxid (NO) im Körper sorgt. NO wiederum aktiviert ein Enzym für die Bildung des stark gefäßerweiternden Botenstoffes cyclisches Guanosinmonophosphat (cGMP). Beide Stoffe sind für den Aufbau einer Erektion sehr wichtig. L-Arginin findet sich in Erdnüssen, Mandeln, Kürbiskernen, Buchweizen, Hülsenfrüchten (z.B. Linsen), Thunfisch, Hühner- und Rindfleisch. Es ist auch als Nahrungsergänzungsmittel erhältlich.

Koreanische Studien zeigten, dass Ginseng (ähnlich wie L-Arginin) für eine erhöhte Produktion von Stickstoffmonoxid im Blut sorgt und somit im Penis eine Gefäßerweiterung bewirken kann. Es muss über Monate in einer täglichen Dosis von 3x 1000 mg eingenommen werden, damit sich die erektile Funktion verbessert.

Anthocyane fördern Studien zufolge die Blutzirkulation. Sie können das Risiko einer Erektilen Dysfunktion verringern. Diese Pflanzenstoffe finden sich u.a. in Obstsorten, die eine rote, rot-blaue oder blau-schwarze Färbung aufweisen (Brombeeren, Heidelbeeren, Himbeeren, Johannisbeeren, Holunderbeeren, Kirschen, Trauben, Blutorangen) wie auch in diversen Gemüsesorten, wie z.B. Auberginen, Rotkohl, Rote Paprika, Rote Zwiebeln und Radieschen.

Entspannung und Meditation

In unserer Leistungsgesellschaft seinen Mann zu stehen, ist nicht immer einfach. Männer erwarten zumeist Heldentaten von sich – nicht nur in Beruf und Sport, sondern auch in der Sexualität. Schnell wird daraus eine Art „Matratzensport“. Überhöhte Erwartungen erzeugen jedoch Leistungsdruck, was wiederum Stress hervorruft, den bekannten Erzfeind von Lust und Genuss. Achtsamkeitsübungen reduzieren die innere Anspannung und vermeiden eine Überaktivität des Sympathikus (Stressnervensystem). Mentales Training kann dabei helfen, die Signale des Körpers richtig wahrzunehmen.

Bei der Durchführung einer Meditation geht es darum, sich auf den gegenwärtigen Moment zu konzentrieren. Jegliche Gedanken an Vergangenheit oder Zukunft sowie Emotionen, wie z.B. Schuldgefühle oder Ängste, werden losgelassen. Immer mehr Studien zeigen, dass achtsamkeitsbasierte Therapien zu einer Verbesserung der Erregung und des Verlangens, der sexuellen Befriedigung und zu einer Verringerung der mit sexueller Aktivität verbundenen Angst führen. Achtsamkeitstraining ist dadurch zu einer zentralen und effektiven Komponente der modernen Sexualtherapie geworden.

Sexualtherapie

Erektionsstörungen können in der Partnerschaft eine große Krise auslösen. Psychologische Faktoren, wie z.B. Versagensängste, gehen oft mit Potenzstörungen einher und diese wiederum belasten die Partnerschaft. Wir Männer sind häufig der Überzeugung, wir müssten alle Probleme allein bewältigen. Daher vermeiden wir es, mit der Partnerin oder dem Therapeuten offen über Potenzprobleme zu reden. Die Folgen sind Enttäuschung und Frust auf beiden Seiten. Erektionsstörungen sind ein sensibles Thema, und diese anzusprechen, erfordert viel Mut und Überwindung. Ein offener Umgang mit Wünschen, Erwartungen, Ängsten und Bedürfnissen ermöglicht ganz neue, angenehme und lustvolle Erfahrungen. Er stellt zudem den Kontakt und das Vertrauen zueinander wieder her.

Verhaltenstherapie

Ziel einer Verhaltenstherapie ist es, das Spektrum der Sexualität wieder breiter und die Erregungsmuster flexibler werden zu lassen, um die sexuelle Erregung detaillierter erleben zu können. Wenn z.B. bei der Selbstbefriedigung eine bestimmte Art der Erregung trainiert wird – visuelle Reize, eiliges Herstellen der Erektion, schneller Orgasmus – dann wird dieses sexuelle Erregungsmuster im Gehirn abgespeichert. Je häufiger dieser Verhaltensablauf in der Folge abgerufen wird, umso stärker werden die Nervenverbindungen und umso dominanter wird dieses Erregungsmuster auch in der Paarsexualität. Alternative Verhaltensweisen sind dann weniger präsent und somit schlechter abrufbar. Hier müssen zunächst die Gewohnheiten und der Angstkreislauf durchbrochen und der Mann aus einem Vermeidungsverhalten wieder in eine Handlungsfähigkeit versetzt werden. Die Reduktion der Angst erfolgt in einem fein abgestuften Vorgehen, bei dem zunächst nur „Berühren und Streicheln“ im Vordergrund stehen. So soll die Erregung neu konditioniert und die Balance der Nervenverbindungen wiederhergestellt werden.

Fazit

Fast alle Ursachen und Risikofaktoren von Erektionsstörungen können beeinflusst werden. Eine umfassende wissenschaftliche Recherche hat gezeigt, dass eine solche mehrschichtige Therapie mit Lebensstilanpassungen und physiotherapeutischen Übungen in der Behandlung von Potenzstörungen mittel- und langfristig effektiv ist. Sie wird sogar in den medizinischen Leitlinien als Erstlinientherapie oder begleitend zur medikamentösen Behandlung empfohlen.

Literatur kann bei der Redaktion angefragt werden.

Buch-Tipp
Dr. Christoph Pies
Potenz auf Rezept
herbig Verlag

Dr. med. Christoph Pies
Facharzt für Urologie (Studium der Fachbereiche Urologie, Andrologie, Sexualmedizin und medikamentöse Tumortherapie), Podcaster, Autor zum Thema Männergesundheit

piesclan@aol.com

Foto: © HBS / adobe.stock.com

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