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Psychotherapie
Lesezeit: 5 Minuten

Fallstudie aus der psychotherapeutischen Praxis

Traumatische Belastung eines Kindes

Die Eltern eines Kindes wenden sich mit dem dringenden Wunsch an mich, ihrer Tochter bei der Bewältigung von Ängsten und Verhaltensauffälligkeiten zu helfen.

Erstgespräch

Die Eltern berichten, dass das Mädchen im Kindergarten auffällig sei, da sie das „Aufkleben von Pflastern auf Wunden“ immer wieder mit Puppen nachspiele. Insgesamt gebe es seit einiger Zeit vermehrt Trennungsschwierigkeiten gegenüber den Eltern, wenn die Zeit des Verabschiedens gekommen sei (z.B. im Kindergarten oder bei den Großeltern). Dinge, die desbezüglich bereits „gelernt“ wurden, erscheinen jetzt unüberwindlich. Eine kürzlich aufgenommene Anstellung der Mutter ist daher wieder aufgekündigt worden, damit diese ihre Tochter bereits vormittags aus dem Kindergarten abholen kann.

Hintergrund

Ich exploriere, dass die Kleine im Alter von 1,5 Jahren aufgrund drohender Dehydration nach einem Magen-Darm-Infekt stationär eine Infusion erhalten hat. Die Mutter hielt ihr Kind dazu fest. Als die Nadel halb im Arm war, forderte der behandelnde Arzt die Mutter auf, das Kind noch stärker festzuhalten. Das Mädchen weinte und wehrte sich vehement. Die Mutter war voller Mitleid.

Seither, so berichtet die Mutter, reagiere das Kind bei der täglichen Körperpflege (waschen, Windeln wechseln, anziehen etc.) panisch. Alle Dinge müssten im Stehen auf Augenhöhe erfolgen. Zum Schlafen lehne ihre Tochter sitzend am Bettrand. Erst nach dem Einschlafen könne man sie in die liegende Position verbringen. Nach dem Erwachen gehe der Blick des Kindes meist ins Leere. Das Mädchen wirke auch im Alltag wie „abgedriftet“, wenn die Mutter sich Haushaltstätigkeiten widme. Es benötige dann eine gefühlvolle elterliche Ansprache, um zurück in die Situation zu finden.

Psychoedukation

Ich verabrede zunächst Termine mit den Eltern, um diese mit Informationen über kindliche Ängste nach traumatisch erlebten Ereignissen für das Thema zu sensibilisieren.

Trauma bei Kleinkindern

Ein Trauma bedeutet eine nicht zu bewältigende Ausnahmeerfahrung. Dabei kann ein Teil der Psyche „beschädigt“ werden. Der andere, gesunde Teil kann jedoch Selbstheilungskräfte mobilisieren. So wird es möglich, dass der verletzte innere Anteil mit Hilfe des gesunden Anteils langsam heilen kann.

Bei Kindern unter 5 Jahren sind die kognitiven Voraussetzungen zum Verstehen der Mobilisation von Selbstheilungskräften noch nicht angelegt (z.B. Zeitverständnis). Diese leben vollkommen unmittelbar, die intellektuelle Reife bildet sich nur rudimentär heraus.

Spaltungsmechanismen

Traumatische Erlebnisse beinhalten eine dramatische Verletzung menschlicher Grundbedürfnisse und gehen mit erheblichen körperlichen und psychischen Stressreaktionen einher. Um nicht vollständig daran zu zerbrechen, setzt der Mensch aus Selbst- und Reizschutzgründen innere Notfallmechanismen in Gang. Manchmal können ganze Teile der Persönlichkeit oder Details der traumatischen Situation aus dem Bewusstsein verdrängt oder in einzelne Fragmente zerrissen werden.

Vorgehen

In der Teilearbeit (Ego-State-Therapie, auch: Arbeit mit dem Inneren Kind) gehe ich auf die Bedürfnisse verschiedener Persönlichkeitsanteile ein, die ich zuvor identifiziere. Es soll versucht werden, diese Anteile in eine ausgeglichene Kommunikation zu bringen. Ich konzentriere mich zunächst darauf, möglichst viel Stabilität herzustellen, damit sich das alarmierte Gehirn beruhigen kann. Dies ist die Voraussetzung für die Betrachtung und Verarbeitung eines Traumas. Diese Stabilisierungsphase(n) sollte(n) einer Wiederbegegnung mit traumatischem Erinnerungsmaterial (in diesem Fall: Krankenhauspersonal) stets vorausgehen. Eine Retraumatisierung und eine Verschlechterung des Krankheitszustandes könnten ansonsten die bittere Folge sein.

Verlauf

Im Fall des kleinen Mädchens sind haltgebende Bindungen zu Mutter und Vater vorhanden. Das Vertrauen ist jedoch durch das Festhalten während der Infusionsgabe erschüttert worden. Durch die Methode des Spiels innerhalb des Beratungs-/Therapieprozesses (Machtumkehr- und Trennungsspiele) kann eine Heilung angeregt werden.

Die folgenden Sitzungen werden zunächst für die weitere Stärkung und einen intensiven Vertrauensaufbau in der Eltern-Kind-Beziehung genutzt, u.a. durch das Wiegen des Kindes in den Armen der Eltern zu Musik.

Im weiteren Verlauf lade ich das Mädchen in Absprache mit den Eltern zu einer Teilearbeit mit einer Matrjoschka-Puppe ein (ineinander gesteckte Holzfiguren, die immer kleiner werdende Kopien der großen Hauptfigur darstellen). Zunächst erkläre ich dem Mädchen, das auf dem Schoß seiner Mutter sitzt, dass ein schlimmes Ereignis Folgen haben kann, und zeige ihm dann die größte Puppe, die ihr gegenwärtiges Alter darstellen soll. Das Kind untersucht diese eingehend und stellt verblüfft fest, dass noch viele weitere kleinere Püppchen enthalten sind. Die kleinste Figur stellt symbolisch das Mädchen als Baby dar.

Wir spielen nun, dass eine kleine Puppe dabei ist, die das schlimme Erlebnis mit dem Arm hatte. Das Mädchen legt diese Puppe vor sich ab, und wir einigen uns darauf, dass das Baby nun schlafe und die größeren Puppen (alle stehend) auf die kleine aufpassten. Dieses Vorgehen findet das Kind gut, es ergänzt: „Die brauchen kein Pflaster mehr.“ „Und jetzt“, sage ich, „geht die Mama mit dem größeren Mädchen zum Arzt, und dann wacht das kleine Baby auf und hat große Angst.“ Ich nehme die große Puppe (als Symbol des Mädchens zum aktuellen Zeitpunkt), die als mutig und stark gilt, und stülpe diese über die kleine Figur (das jüngere Mädchen). Jetzt sehen wir das mutige Mädchen von heute, aber darunter befindet sich dasjenige, dessen Arm verletzt wurde, erkläre ich.

Ausblick

Es zeigen sich nach und nach große Fortschritte. Die Therapie kann nach 9 Monaten erfolgreich und mit einer kleinen Zeremonie für das Kind beendet werden. Hier wird auf kindliche Weise „gefeiert“, dass das Mädchen nun wieder im Bett liegend schlafen kann, und dass es mittlerweile groß und stark ist, sodass es andere beschützen kann (z.B. die kleine Puppe, welche nun auch den Namen des Mädchens trägt).

Fazit

Durch die Symbolarbeit konnte eine Wiederherstellung der kindlichen innerseelischen Stabilität erreicht werden, was eine tiefgreifende und nachhaltige Beruhigung des kindlichen Organismus zur Folge hatten.

Freifrau Juliane von Münster
Heilpraktikerin für Psychotherapie in eigener Praxis, Schwerpunkte: systemische Verfahren und Traumatherapie, Dozentin an den Paracelsus Gesundheitsakademien kijufa@familienpraxis-jvm.de

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