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aus dem Paracelsus Magazin: Ausgabe 2/1998

Abschied vom Qualm…

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Abschied vom Qualm

Die Menschheit besteht aus Rauchern und Nichtrauchern. Wenn man sich vor Augen hält, daß das Unterbewußtsein das Wörtchen “nicht” geflissentlich übersieht, muß man sich doch fragen, was ein “Nichtraucher’ eigentlich damit sagen will, wenn er sich als solcher bezeichnet… Er käme wohl kaum auf die Idee, lautstark zu betonen, daß er Nicht-Alkoholiker, Nicht-Junkie, Nicht-Fresser oder sonstiger Nicht-Konsument ist. Penetrant nörgelnden Nichtrauchern würde man als Raucher gern hin und wieder das Maul stopfen – vielleicht mit einer Zigarette…?

Mit sieben Jahren beschloß ich, daß das Erlernen der grenzenlosen Güte mein Lebensziel werden sollte. Mit grenzenloser Güte im Herzen lebt es sich leichter, dachte ich. Da man alles und jeden liebt, kann man die Macken von anderen leichter ertragen und grenzenlos gütige Menschen treten anderen auch nicht aus Versehen auf den Schlips…
Da es in meiner Umgebung niemanden gab, der diesem Ziel nicht das Prädikat “komplett bescheuert” gegeben hätte, fand ich kein Vorbild, dem ich hätte folgen können. Also machte ich mich allein auf die Socken und begab mich auf die Suche nach der Güte. Das erste Ergebnis, das ich erzielte, war, dass mich meine Familie für dumm und unzurechnungsfähig erklärte. Aber stur wie ich war und in Ermangelung eines Ersatzmodells, das mich überzeugt hätte, blieb ich bei meinem Entschluß.

Wo Licht fällt, ergeben sich Schatten. Wer versucht, Güte zu leben, bevor er gelernt hat, ein Arschloch zu sein, zieht Menschen, die seine nicht gelebten Schattenseiten repräsentieren, an, wie ein Misthaufen die Fliegen. Wer dann von seinem Standpunkt keinen Zentimeter abweicht und sein Verständnis und freundliche Güte noch verstärkt, gibt dadurch der Gegenseite noch mehr Sprit. Mein Versuch, die Güte zu finden, mutete an wie das Märchen von dem, der auszog, das Fürchten zu lernen.

Bis zum zarten Alter von 19 hatte ich so viele Verletzungen kassiert, daß ich auf die Frage nach meinem Traumberufsziel “Terroristin” antwortete. Es würde mich nicht wundern, wenn die Mitglieder der Baader-Meinhof Gruppe auf eine ähnliche Historie zurückblickten. Aber anders als diese konnte ich niemanden finden, der wirklich und tatsächlich ausschließliche Schuld am Unglück der Welt trug und damit seine Eliminierung gerechtfertigt hätte.

In Ermangelung eines rechtmäßigen Mordopfers, begann ich mir Gedanken zu machen, ob die Sache mit der Terroristin vielleicht in meiner eigenen Unfähigkeit zu diplomatischem Geschick begründet sein könnte. Seit ich denken konnte, war ich mit einer Revolverschnauze ausgerüstet, die sich von Zeit zu Zeit einfach selbständig machte. Ohne daß ich es hätte kontrollieren können, beförderten mich ihre Aktionen in jeden Fettnapf, der sich bot. Obwohl ich doch eigentlich gütig sein wollte – die Revolverschnauze machte jeden gutgemeinten Versuch zunichte. Um sie endlich zu stopfen, begann ich zu rauchen, und siehe da, ich wurde fast gesellschaftsfähig.

Fast zwei Jahrzehnte später:

Der morgendlichen Kinderablieferungstour folgte ein Arztbesuch: Ich erfuhr, daß ich Gallensteine hatte und das Rauchen aufgeben sollte. Typisch süchtlingsmäßig rationalisierend behauptete ich, das Rauchen sei eine Zwangshandlung und daher nicht so ohne weiteres in den Griff zu kriegen. Meine Ärztin fragte lakonisch, ob ich mir nicht eine Zwangshandlung aussuchen könnte, die mir weniger schadete. Ich verkniff mir die Bemerkung, daß ich seit Jahren zwanghaft auf der Suche nach der Erleuchtung war, was meinen Zigarettenkonsum nicht positiv beeinflußt hatte, und daß ich mit einer weiteren Zwangshandlung zeitlich überfordert gewesen wäre.

Gedankenverloren qualmend fuhr ich heim. Wer raucht, kann ja gar nicht erleuchtet werden. Ist doch logisch. Die Kiste mit der Atmung und so … Die Einsicht, den Nikotinentzug früher oder später auf mich nehmen zu müssen, war mit doch recht unangenehmen Gefühlen verbunden. Sonntag war der erste freie Tag ohne Termine und ohne Kinder seit sechs Wochen. Eine gute Gelegenheit, aufzuhören … aber erst Sonntag. Kaum hatte ich fertig gedacht, rief meine Mutter an: “Du, was machen wir am Sonntag, ich habe doch Geburtstag!” Mich packte die Verzweiflung. Erster freier Tag seit sechs Wochen gestrichen. Aber ich hielt den Mund, zündete mir eine Zigarette an und plante den Geburtstag meiner Mutter.
Im Kindergarten erwartet mich ein Anschiß, weil ich meinem Sohn einen Schokopudding mitgegeben hatte. Schokopudding sei schlecht für die Kinder. Eine gute Mutter wisse das, wie konnte ich nur… Immer diese “wohlmeinenden” Nichtmütter, die am grünen Tisch pädagogische Theorien entwickelten, um dann ihre praxisgeplagte Umwelt damit zu tyrannisieren. Ich verkniff mir die Empfehlung, mir doch den Buckel hinunter zu rutschen und zündete mir eine Zigarette an.
Zuhause starteten die Kinder einen Indianerüberfall auf den Wäschekorb. Begleitet von infernalischem Gebrüll erledigte ich, meine Telefonate.”Urlaub” dachte ich “gib mir jemand Urlaub, oder ich nagle die Kinder an die Wand!” Aber ich nahm mir weder Urlaub, noch nagelte ich die Kinder an die Wand, sondern gönnte mir erstmal eine Zigarette.

Mein energetischer Zustand war inzwischen jedoch eher unter dem Normalwert. Und so bezog ich das Gebrüll meiner Kinder in eine Meditation ein und stellte mir eine alte Schamanin vor, die mitten in einer Schlacht sitzt und tief in ihrem Inneren nach den Antworten der Erleuchteten forscht. Aber meine Phantasie wurde von einer nörgelnden Galle behindert. Hatte mal wieder Schokolade gefuttert, ich Depp. Also zündete ich mir erstmal eine Zigarette an.

Auf einmal wurde mir sehr ernst zumute. Was war ich doch für eine arme Socke. Für einen Moment ersoff ich in Selbstmitleid. Wenn ich erleuchtet wäre, wäre alles viel einfacher. Ich war ja richtig verbittert! Und meine Galle mußte Steine bilden, um mir zu zeigen, daß etwas falsch lief…Was war eigentlich mit meinem Humor geschehen?

Das war’s!
Ich mußte meinen Humor wiederfinden!
Herzlichen Dank, Galle! Ich hätte es anders nicht kapiert! Jetzt war ich steinreich und wieder ein Stückchen klüger. Dankbar lächelte ich meine Galle an. Ob sich schon jemals vor mir jemand bei seiner Galle für die Steine bedankt hatte?

Irgend etwas in mir hatte geglaubt, ich müßte erst die ganze Welt therapieren, bevor ich wieder lachen durfte. Erst sollten alle das bekommen, was sie brauchten, damit ich in Ruhe lachen konnte… Ja, hatte ich sie denn noch alle?
Mir fiel die Aussage meines ersten Lehrtherapeuten ein:
“Es ist nicht leicht mit jemandem, der nicht alle Tassen im Schrank hat!” Wie wahr! Ich hatte es wirklich nicht leicht mit mir! – Glucks! Es war witzig einen Vogel zu haben. Den Luxus wollte ich mir ab sofort leisten!
Angewandter Frohsinn als neue Form des Selbstcoaching. Vielleicht sollte ich darüber mal einen Vortrag halten. Das Kapital hat die Macht? Nur solange keiner lacht! Hey, das war der beste Spruch seit Marx. Wir demonstrieren nicht mehr, wir lachen! Völkerlachen statt Völkerwanderung. Lachen gegen Atombomben, Umweltzerstörung und FußpiIz. Stellt Euch vor es ist Krieg und alle lachen… Ich war genialer als ich gedacht hatte. (Kleine manische Nachschwankung am Rande) Soviel Spaß hatte ich schon lange nicht mehr mit mir.
Es hätte mich wirklich interessiert, ob Jesus gelacht hat, als er über das Wasser ging … “Tut mir leid, Jesus. Ich wollte in Deine Fußstapfen treten und so sein wie Du. lrgendwie hast Du aber viel größere Füße als ich! Vielleicht komme ich im nächsten oder übernächsten Leben auch mit solchen Quadratlatschen auf die Welt. Bis dahin stelle ich meinen Wunsch, die Erleuchtung zu erleben, einfach mal zurück. Projekt ‘Tina leuchtet’ wird hiermit an den Nagel gehängt. Bin ich erleichtert! Wenn ich jetzt doch noch anfange zu schweben, schrei ich Brötchen …”

Mit diesen Gedanken hatte ich mir eindeutig zu viel Zeit für mich selbst genommen. ln einem Akt von Mutterbestrafung verteilte Louis seinen Stinker gleichmäßig auf den Fließen des frisch geputzten Bades. Amüsiert grinsend erwarteten die beiden Racker jetzt meinen Schreikrampf, der normalerweise auch auf dem Fuß gefolgt wäre. Aber Ha! Nichts dergleichen. Ich verzog mich schweigend in die Küche, holte tief Luft, marschierte wieder raus und …? Lachte! Es war unglaublich anstrengend und klang alles andere als echt. Aber, ich schaffte es! Ich lachte ihn einfach aus. Die beiden waren so fassungslos, daß sie kein Wort sagten. Kein Geschrei, keine Diskussion, sie standen einfach da mit kugelrunden Augen und Dennis fragte nach einer Weile:”Aber Mama, was hast du denn?” “Einen Knall, was sonst!””Macht nix, Mama, das vergeht schon wieder!”

Energiegeladen und humorvoll begann ich die allabendliche Kinderabfütterungszeremonie, während der hysterische Anfall einer meiner Patientinnen gleichzeitig eine Krisenintervention am Telefon notwendig machte. Kurz danach rief mich eine Freundin an. Sie wollte mich mal wieder zum Essen einladen, weil ihr Freund nicht zuhause war. Der Mann kannte mich zwar nicht, aber er wollte mit einer Seelenklempnerin nichts zu tun haben, was dazu führte, daß unser freundschaftlicher Kontakt abgebrochen war.

Und nun zur Preisfrage: was tat die Hötzl in diesem Moment?
Richtig! Anstatt ihr zu sagen, sie möge sich zum Teufel scheren, zündete sie sich eine Zigarette an und dankte gut erzogen für die Einladung.

Damit war meine gute Laune im Eimer. Ich verfrachtete die Kinder und verzog mich mit einem Tee und meinen Glimmstengeln auf die Couch. Nachdenklich fiel mein Blick auf die Wände, die allmählich einen gelblichen Ton annahmen. Ein nicht unerheblicher Geldbetrag war in diesem Zimmer in Rauch aufgegangen und das Nikotin setzte sich wie zur Mahnung nun an allen passenden und unpassenden Stellen des Raumes ab. So als wolle es fragen: wozu tust du das?
Plötzlich stand mir die Schamanin aus der Nachmittagsmeditation gegenüber. Ich hatte sie so plastisch vor mir, daß ich das Gefühl hatte, sie berühren zu können. Sie kicherte und sagte:
“Du hast mich gefragt, was Erleuchtung ist. Es hat nichts damit zu tun, vergeistigt auf einem Berggipfel zu sitzen, um mit dem Kosmos in Verbindung zu treten… Sei was Du bist. Lebe das, was Dir mitgegeben wurde und versuche niemals mit Gewalt ein Ziel zu erreichen, für das die Zeit noch nicht reif ist. Für Sanftmut, Güte und allumfassendes Verständnis ist noch genügend Zeit, wenn Du eine Greisin geworden bist.”

“Du meinst, ich sollte einfach von meiner Revolverschnauze Gebrauch machen und…”

Wie so oft, fiel mir ein Satz einfach aus dem Gesicht. Wie so oft hörte ich in Gedanken die Stimme meiner Mutter: “Erst denken, dann reden!!!”

Die Schamanin sah mich an und sagte: vielleicht denkst du mal darüber nach, ob du aufhören könntest, dir das Maul mit Zigaretten zu stopfen …!
“Ach, du weißt doch, daß ich dann zu einer ekligen Giftspritze werde, die alle naselang irgendjemandem auf den Schlips tritt…!” Ich war ernsthaft betrübt.

“Jetzt suchst du schon seit fast 30 Jahren nach der Güte und hast immer noch nicht kapiert, daß es nicht möglich ist, niemandem auf den Schlips zu treten. Selbst wenn du den Hochseiltanz erlernt hättest, würde sich jemand finden, der seinen Schlips direkt unter deinem Fuß auf dem Seil drapiert.”

Meine blühende Phantasie schickte mir ein Bild von einem Mädchen auf dem Hochseil, das verzweifelt und dennoch erfolglos versuchte, bunten Schlipsen auszuweichen. Die Vorstellung entlockte mir ein schiefes Grinsen.

“Außerdem wäre es schade um deinen Humor, den du logischerweise verlierst, wenn du die Giftspritze in dir immer unterdrückst. Giftspritzen haben die unangenehme Angewohnheit, Gift zu spritzen und die Atmosphäre zu vergiften. Abgesehen davon: Wenn deine Revolverschnauze keine Funktion im göttlichen Plan hätte, gäbe es sie nicht!”
Ein banales Wort wie “Revolverschnauze” in Verbindung mit dem göttlichen Plan aus dem Mund einer uralten Schamanin zu hören, raubte mir den letzten Rest von Fassung. Ich mußte lauthals lachen.

“Mama, hast du gerade wieder einen Knall?” tönte es aus dem Kinderzimmer. “Ja, Schatz!”
“Na, dann ist es ja gut!”

Die Schamanin kugelte sich bloß noch und schlug sich auf die Schenkel …

“Also gut, ich soll also aufhören zu rauchen und mich in eine Giftspritze verwandeln?” fragte ich.
“Wie stell ich das am besten an?”

“Überlaß das mir. ich werde dir die notwendigen Überlegungen schicken!” grinste sie geheimnisvoll und entschwand.

Inzwischen, etwa ein Jahr später, wate ich seit 29 Tagen knöcheltief durch den Entzug. Abgesehen davon, daß mein Körper in sämtlichen erdenklichen Arten Amok läuft, habe ich mich in ein querulatorisch stänkerndes Ekelpaket verwandelt, das jeden erschlägt, der nicht bei drei auf dem Baum ist. Nur knapp bin ich einer Anzeige wegen Beamtenbeleidigung entronnen, als ich einem Polizisten, der mein Auto abschleppen lassen wollte, die Meinung sagte. Der Wunsch, ich möge durchhalten, scheint stark genug zu sein, um meine Familie zu gequältem Gehorsam zu bewegen. Vermutlich ein Zeichen für Liebe, was mir im Moment allerdings relativ wurscht ist. Mir geht einfach alles auf die Nerven. Wäre ich erleuchtet, dürfte ich das alles nicht…

Und doch regt sich seit etwa zwei Tagen ganz tief im Hintergrund des Unterbewußtseins ein kleines grinsendes Schlitzohr, das die ganze Situation witzig findet. Hoffen wir, daß es größer und der Giftspritze eines Tages Herr wird …

Tina Hötzl Tina Hötzl
Sponeckstr. 1
81245 München

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