Übersicht dieser Ausgabe    Alle Paracelsus Magazine

aus dem Paracelsus Magazin: Ausgabe 2/1998

Sprachlosigkeit überwinden

Cover

Die Verantwortung für uns und andere

Bei einer überraschenden Nachricht, vor allem aber angesichts eines plötzlichen Unglücks überfällt uns zuweilen Sprachlosigkeit; dann brauchen wir eine Besinnungspause, bevor wir uns äußern können, bevor wir wieder Herr der Lage sind. Zunächst reagieren wir oft körpersprachlich, mit Blick und Geste, später stellen sich mehr oder wenig deutliche Worte ein. Ein Vorgang, den jeder kennt.“Und wenn der Mensch in seiner Qual verstummt/Gab mir ein Gott zu sagen wie ich leide.” (Goethe, Torquato Tasso, V, 5). Erinnern wir uns, daß sogar ein Tasso, also der Dichter, in seiner abgrundtiefen Enttäuschung nicht ohne menschlichen Beistand bleibt; er wird gestützt durch Antonio, seinen Freund, der ihn auf seinen inneren Reichtum, auf die Selbsterkenntnis verweist. Im Augenblick jedoch muß Tasso erst seinen Schmerz durchleben, bevor er dankbar die Hand des Freundes ergreift. Ein Musterbeispiel für die überwundene Sprachlosigkeit, das auch in der Therapie wirksam werden kann.

Sprachlosigkeit des leidenden Menschen

Das Phänomen, das ich jetzt ansprechen will, geht weit über die persönliche Erfahrung hinaus. In unserer Zeit hat sich bei gleichzeitiger Überflutung mit Worten und Texten eine eigenartige Sprachlosigkeit, ein absurdes Sprechen ohne Sinnbezug, ausgebreitet. Meistens sind wir überlastet mit unnützer Arbeit und Geschäftigkeit oder bedienen uns der medialen Kommunikation. Konsumansprüche bestimmen unseren Alltag; zahlreiche Medien und öffentliche Veranstaltungen befriedigen unser Unterhaltungsbedürfnis. Für zwischenmenschliche Gespräche, in denen wir einander wirklich begegnen, finden wir wenig Zeit. Wir sind gleichsam sprachlos geworden.

Der leidende Mensch, der sich zu einer Psychotherapie entschließt, ist unausgesprochen auch auf der Suche nach Sinn; an ihm beobachten wir eine besondere Form von Sprachlosigkeit. Psychische Störungen, auch psychosomatische Symptome mannigfacher Art, lassen sich bei vielen diagnostizieren.
Aber was hat die Klienten, die einen Therapeuten oder Psychologischen Berater aufsuchen, so “sprachlos” bzw. ratlos und oftmals depressiv gemacht? Im klientenzentrierten Gespräch stößt man dann auf Ereignisse oder Lebenskrisen, die nicht bewältigt worden sind, z.B. irgendwelche Schicksalsschläge, Krankheit, Alter, Tod, Bedrohung durch Gewalt, Arbeitslosigkeit, unerfülltes Leben und häufig Schwierigkeiten in Familie und persönlichen Beziehungen. Die “Sprachlosigkeit” des leidenden Menschen – er vermag nicht auszudrücken oder in Worte zu fassen, was ihn krank macht – läßt ihn hilflos und von allen Seiten bedrängt erscheinen. Bekanntermaßen ist eine (seelische) Krankheit wesentlich in einer Kränkung oder Verletzung begründet, die wir aber verdrängt haben bzw. nicht mehr bewußt wahrnehmen; denn normalerweise wird es als unangenehm empfunden, seine Schwächen und Fehler anzusehen, sich auf sie einzulassen und mit ihnen auseinanderzusetzen.

“Natursprache”/Körpersprache – die alternative Möglichkeit

“Es ist mancherlei Art der Sprache in der Welt und nichts ist ohne Sprache. Wenn ich nun nicht weiß der Sprache Bedeutung, werde ich den nicht verstehen, der da redet, und der da redet, wird mich nicht verstehen.” (1. Korinther 14,10-1 1). Paulus plädiert hier für eine klare, verständliche Sprache, die jedermann zugänglich ist; denn nur so kann und soll der Gemeinde Gottes Wort vermittelt werden. Trotzdem verwirft er nicht die Fähigkeit des “Zungenredens”, das aus den Fugen geratene ekstatische Sprechen, wenn es für die Zuhörer gedolmetscht wird oder wenn der Sprecher sich unmittelbar an Gott wendet, der ja alles versteht. Damit hat er einen exoterischen und einen esoterischen Anwendungsbereich der Sprache unterschieden, aber das Irrationale nicht ganz aus dem sprachlichen Spektrum ausgegrenzt. Im krassen Gegensatz dazu steht Antonin Artauds These: “Jede wahre Sprache ist unverständlich.” (Vgl. Bernd Mattheus, “Jede wahre Sprache ist unverständlich”. Über Antonin Artaud und andere Texte zur Sprache veränderten Bewußtseins, München 1977, S.42 ff.). Er, der die grammatische Norm als Selbstentfremdung empfindet, akzentuiert die affektive Seite der Sprache in der “poesie des schreis” (S. 43) und bekennt sich zu der vom Diskursiven abweichenden Natursprache; dazu Mattheus (der die konsequente Kleinschreibung liebte): “der rückgriff auf körpersprachliche formen, die grimassen/körperbemalung/travestie/adaption katatoner erregung/ a-verbale kommunikation umfassen, markiert die grenzen der Sprache” (S. 45). Artaud antwortet also auf das universale Reglement, das von der Sprache ausgeht, mit einer anarchischen Tabu-Verletzung. Darüber hinaus fordert Oswald Wiener: “die wahrheit muß aufhören unseren verstand zu drangsalieren; es müssen mehr bilder produziert werden, viele modelle für ‘das selbe’ (damit ‘das selbe’ aufhöre, entität zu sein), verschiedene interpretationshierarchien, von denen die miteinander nicht kompatiblen die wertvollsten sein werden. überhaupt muß das inkompatible gesucht werden, ein anfang: der wohn muß rehabilitiert werden als versuch, das verstehen zu begreifen, als idiosynkrasie der sinnproduktion.” (Zit. ebd., S. 39 f.).
Mit anderen Worten: wenn die Äußerungen des Wahnsinns nicht mehr als Sprachlosigkeit begriffen werden, sondern als sinnvolle Ausdrucksformen sui generis gelten, dann ist der Wahn aufgehoben und der Schrecken vor dem Wahnsinn entkräftet. Wenn die sogenannte “Natursprache”, die ich mit meinem Körper als Medium hervorzubringen vermag, die Grenzen der Sprache und damit die menschlichen Erfahrungsmöglichkeiten erweitert, sei sie mir durchaus willkommen, jedoch nicht als Alternative, sondern als Ergänzung zur sogenannten “verständlichen Sprache”.

Verwissenschaftlichung führt zu Sprachlosigkeit

Rein kognitive, künstlich erzeugte Sprachen, z.B. mathematische Formel- und Computersprachen hingegen funktionieren zwar hervorragend in Informationstechnik und angewandten Wissenschaften, würden aber, wenn sie in alle Lebensbereiche eindringen, menschliche Verständigung und Ausdrucksweise behindern und verarmen lassen. So sind wir auch für unsere zukünftige Sprache verantwortlich, wollen wir nicht einer sterilen, von menschlichen Gefühlen ausgehöhlten Kommunikation anheimfallen.
“Und da frage ich: Was ist besser: ein Dasein als ein nicht zu kluger, aber auch nicht zu dummer Alltagsmensch mit der Fähigkeit zu Liebe, Trauer, Sympathie oder ein Dasein als Superwissenschaftler mit dem Gefühlsleben einer Bettwanze? Was ist besser: eine Welt in der die Dichter und ihre Gesänge noch verstanden werden, oder eine Welt in der man solchen Reden keinen Sinn mehr abgewinnen kann?” (Paul Feyerabend, Wider den Methodenzwang, Frankfurt a.M.41993 (1976), S. 103 f.). Auch gegen solche Folgen der Verwissenschaftlichung, die letztlich in der Sprachlosigkeit enden, haben wir, meine ich, Widerstand zu leisten.

Isolierende Sprachlosigkeit überwinden

Welche Veränderungen im Sprachverhalten sind heute im privaten wie auch im gesellschaftlichen Bereich bereits sichtbar geworden? Wem es schwerfällt, sich in der herrschenden Sprache auszudrücken, der fühlt sich bald machtlos, ohne jeglichen Einfluß und gerät in Versuchung, seine Interessen mit Gewalt durchzusetzen oder seine aufgestaute Wut an Ausländern und anderen Minderheiten auszulassen. Der Mensch, der sich nicht mehr zwanglos mitteilen und für den Anderen offen sein, ihm zuhören kann, der ist durch solche Sprachlosigkeit menschlich isoliert. Mag einer auch in Beruf und Politik Erfolge erringen, wenn er aber in seinem mitmenschlichen Verhalten gestört ist, werden ihm Freude und Liebe nicht mehr gelingen. Unsere Wohlstandsgesellschaft hat ein Verhaltensmuster hervorgebracht, das in erster Linie die Durchsetzungskraft des Einzelnen fördert und belohnt. So wird eine psychische Atmosphäre erzeugt, in der sozusagen ein alltäglicher Wahnsinn gedeiht. “Die Menschen sind wahnsinnig, wirklich und wahrhaftig wahnsinnig, weil sie die Liebe vergessen haben.” (Leonhard Frank). Sorgen wir in unserem Umkreis für die Überwindung der Sprachlosigkeit und der gestörten Mitmenschlichkeit, damit Krankheit und Verbrechen an Faszination verlieren.
Angst vor der Schriftsprache, die wir nicht nur bei den um Zweitsprachenerwerb bemühten Ausländern antreffen, greift weltweit um sich: ein neues Analphabetentum entsteht. Die Betroffenen versuchen ihre schriftsprachlichen Mängel natürlich auszugleichen und zu ü berspielen. “Die Verdrängungsmechanismen unserer Kulturgesellschaft gegenüber den ‘Schriftlosen’ funktionieren offenbar ebenso gut wie die Tarnungs- und Vermeidungsstrategien der Analphabeten im Alltag.” (Thomas Bille, “Die Angst vor der Schriftsprache überwinden”, in: Börsenblatt, Nr.77, 25.9.1990, S.2926f.). Die Schriftlosen wollen nicht unangenehm auffallen, fürchten sich aber schon vor einem Brief, der unheimlich wirkt, weil sie ihn nicht enträtseln können. Sie brauchen aktuelle Hilfe und Ermutigung zur Schriftsprachlichkeit. Immerhin, der”Schreib-Lese-Service” in Frankfurt a. M. bietet 30 000 Analphabeten seine Dienste an.

Aphasie, verursacht durch Schlaganfall – diese Art der Sprachlosigkeit habe ich mit meiner Mutter erlebt, besonders in den letzten Wochen, die ich täglich bei ihr im Krankenhaus verbracht habe. Sie verstand alles, wußte immer genau, was sie sagen wollte und was sie wünschte, ihre sprachliche Ausdrucksweise aber blieb oft unverständlich, was sie ärgerte und ungeduldig machte. Allmählich habe ich vieles verstehen gelernt, ihre Mitteilungen durch Raten und Fragen aufgeklärt. Neugierig hat sie verfolgt, was um sie herum vorging, und sich über jede Kleinigkeit gefreut. Manchmal, wenn sie völlig entspannt und ruhig war, konnte sie zum Erstaunen der Anwesenden klar und deutlich ein paar Sätze sprechen. Ziemlich ihre letzten Worte: “Draußen ist es schön.” Ich: “Ein trüber Tag heute.” – Darauf sie: “Aber es ist schön gewesen.” Und plötzlich: “Wenn der Frühling kommt… wenn der Frühling kommt…” – Ich habe mit ihr, auch ohne Worte, eine wunderbare Nähe erlebt. Ganz beglückend war es für mich, ihre Sprachlosigkeit hin und wieder zu überwinden, und für sie, endlich einmal richtig verstanden zu werden.

Menschliche Kommunikation als Basis der Psychotherapie

Sprachlosigkeit überwinden heißt Verantwortung tragen für uns und andere. Wer vorbeugen, helfen, heilen, den Menschen in seiner psychischen Störung erreichen will, muß bei sich selber, mit der Selbstfindung beginnen. Die eigene, unverstellte Sprache finden und spontan sprechen lernen, bevor ich mich im therapeutischen Gespräch praktisch einbringen kann. Denn: Menschliche Kommunikation ist die Basis jeder Psychotherapie. Zuallererst geht es darum, die Eigenart des Anderen wahrzunehmen: in seiner Sprache, aber auch im Blick, in der Gebärde und im Verhalten. Diese Fremdwahrnehmung ist ein dauernder Prozeß, obgleich das Wesentliche sich schon beim ersten Eindruck zeigen kann. Der Andere soll merken, daß ich ihm seine persönliche Geschichte gestatte und ihm Gelegenheit zu aufrichtiger Selbstdarstellung gebe. Dann kann er seine Sprachlosigkeit getrost ablegen und das zum Ausdruck bringen, was ihn emotional bewegt. Neben den nonverbalen Äußerungen, die seine wörtliche Rede begleiten oder unterbrechen, wird er das, was vorher in ihm verschlossen gewesen, frei fließen lassen. Während ich ihm zuhöre, nehme ich mir Zeit, ihm ein Stück auf seinem Wege zu folgen. Das heißt, ich halte meine Gedanken und Vorstellungen, die unweigerlich in mir auftauchen, zunächst zurück. Ich bemühe mich, den Anderen zu verstehen, auch wenn er schweigt.

“Die Kunst, diejenigen Aspekte des Seins eines Individuums zu verstehen, die wir als Ausdruck seines In-der-Welt-Seins beobachten können, erfordert von uns, seine Aktionen zu seiner Weise, die Situation zu erfahren, in der er mit uns ist, in Beziehung zu setzen. Ähnlich haben wir in Begriffen seiner Gegenwart seine Vergangenheit zu verstehen und nicht ausschließlich in umgekehrter Folge” (S. 31). “Wie der Deuter muß der Therapeut die Elastizität haben, sich in eine andere fremde und sogar gestörte Sicht der Welt zu transponieren. In diesem Akt bezieht er sich auf seine eigenen psychotischen Möglichkeiten, ohne seine geistige Gesundheit aufzugeben. Nur so kann er zu einem Verstehen der existentiellen Position des Patienten gelangen” (S. 33, Ronald D. Laing, Das geteilte Selbst. Eine existentielle Studie über geistige Gesundheit und Wahnsinn, München (3)1991/1963).

Mit dem Verstehen meint Laing keinen intellektuellen Prozeß, den ich lehrbuchmäßig abwickeln kann, sondern eigentlich die Liebe, die mir nahezu unbegrenzte Verstehensmöglichkeiten eröffnet. In diesem Zusammenhang erwähnt er auch die Feststellung von Frieda Fromm-Reichmann (1952), “… daß im Prinzip eine nützliche Arzt-Patient-Beziehung mit dem schizophrenen Patienten zu verwirklichen ist. Wenn das unmöglich scheint, ist es auf persönliche Schwierigkeiten des Arztes zurückzuführen, nicht auf die Psychopathologie des Patienten” (Zit. S.33).

Sprachlosigkeit ist überwunden, wenn es dem Klienten gelingt, seine Frage bzw. das ihm unbedingt wichtige Anliegen so zu formulieren, daß ich ihn nachvollziehend verstehen kann, ohne die gesucht Antwort vorwegzunehmen. Ich kann warten, bis er seine Lösung selber findet. Wenn ich den Anderen jedoch in einer Notlage sehe, in der er sich schweren Schaden zufügen könnte, bin ich aufgerufen, für ihn einzutreten, zu sprechen, zu handeln. Trotzdem vermeide ich, die universale Sprache des Wissens und der Macht zu gebrauchen; stattdessen spreche ich zu ihm als Mitmensch, dessen Sosein ich durchaus verstehe.

Unsere Hauptaufgabe, Identität zu entwickeln – bei uns und anderen -, bedeutet, daß wir uns erkennen, nicht als unabänderliche Konstanten, sondern ein jeder als werdendes Selbst. Diesen Entwicklungsprozeß können wir beeinflussen, aber wir wissen auch, daß wir uns nicht völlig in der Hand haben und daß es reale Gegebenheiten gibt, die unseren Freiheitsraum begrenzen. Trotzdem übernehmen wir die alleinige Verantwortung für unser Leben. Ich habe eine mir gemäße Lebensform zu erfüllen, wozu ich auch eine spezifische, individuell geprägte Sprache benötige, um mich und meine Vorstellungen den Mitmenschen verständlich zu machen, um meine Gefühls- und Phantasiewelt auszudrücken und um mich in der Gesellschaft durchzusetzen. Die Erlangung dieser persönlichen Sprachfähigkeit ist eine Lebensaufgabe, an derjeder, auch der zu mir kommende, in einer Krise oder Wende befindliche Klient zu arbeiten hat. Der Psychologische Berater bzw. Therapeut kann ihm dabei helfen und so ihn zur Selbstverwirklichung befähigen.

Barrieren zwischen Patient und Therapeut abbauen

Auch der Klient, der sich bereits zur Therapie entschlossen hat, bleibt ambivalent in seiner menschlichen Grundhaltung. Im Gefühl seiner Schwäche und Inkompetenz gegenüber den Erfordernissen des Lebens, die er meistens auch sprachlich nicht bewältigt, beansprucht er psychotherapeutische Hilfe. Gleichzeitig regt sich in ihm eine Abneigung, ein innerer Widerstand gegen den Helfer/ Therapeuten, weil er durch dessen Überlegenheit und Sprachmächtigkeit sich in seinem Selbstsein natürlicherweise bedroht fühlt. Die so möglicherweise entstehenden Barrieren zwischen dem Klienten und dem Therapeuten, die sich auch als sprachliche Verständigungsschwierigkeiten manifestieren können, sind nur zu überbrücken durch eine existentielle Kommunikation, in der die Beteiligten sich als “Schicksalsgefährten” (Karl Jaspers, Wesen und Kritik der Psychotherapie, München 1955, S. 27) – als Menschen auf ihrem Lebensweg begegnen. Der Psychotherapeut kann also den Anderen nicht behandeln, sondern nur an seine Freiheit appellieren. In einem Klärungsprozeß soll ihm sein Selbst allmählich transparent werden; auf diesem Wege wird er auch, von der anonymen “Sprachlosigkeit” befreit, seine persönliche Sprachform finden. “Der Klärungsprozeß (. ..) geht als das Sich-offenbar-werden des Menschen weit hinaus über das, was in planmäßiger Psychotherapie zugänglich wird, er führt in das philosophierende Selbstwerden des Menschen” (5.28). Darin wird bereits deutlich, daß keine Therapie dem Einzelnen die eigene, freie Gestaltung des Lebens abnehmen kann. “Zum Beispiel nur in der Kommunikation der Liebe in einem gemeinsamen Lebensschicksal durch die Altersphasen hindurch kann jene Durchsichtigkeit im Selbstwerden gelingen (…). Weiter muß das Leben selber in der Welt verantwortliche Aufgaben, den Ernst der Arbeit bringen, den keine Therapie künstlich arrangieren kann” (S. 35 f.).

Die Trivialisierung psychologischen Wissens

Kritisch auseinandersetzen sollten wir uns mit der”psychologischen Atmosphäre” und einem psychologisierenden Überangebot, dem wir gegenwärtig überall im kulturellen Umfeld, in Sprache und Literatur, in vielen Medien, bis in die Talkshows der Fernsehprogramme ausgesetzt sind. Die Trivialisierung psychologischen Wissens und die daraus abgeleitete psychologische Lebensbetrachtung bietet dem Einzelnen keine echte Hilfe, führt ihn eher auf Abwege, kann ihn sogar im Kern seiner Existenz gefährden, indem sie ihm die selbstbezogene Nabelschau als etwas Natürliches oder Fortschrittliches vorgaukelt, dementsprechend aber eine egozentrische Grundhaltung positiv bewertet und fördert.
Darauf antworte ich mit Karl Jaspers: “Der Mensch muß sich um die Sachen kümmern, nicht um sich selbst (oder um sich selbst nur als Weg), um Gott, nicht um die Gläubigkeit, um das Sein, nicht um das Denken, um das Geliebte, nicht um das Lieben, um die Leistung, nicht um das Erleben, um die Verwirklichung, nicht um die Möglichkeiten – oder vielmehr um das je zweite immer nur als Übergang, nicht seiner selbst wegen” (S.45).

r9802_sl1 Dr. Gerhard Stebner
Preußenstraße 9
66111 Saarbrücken

zurück zur Übersicht dieser Ausgabe
Paracelsus SchulenWir beraten Sie gerne
Hier geht's zur Paracelsus Schule Ihrer Wahl.
Menü