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aus dem Paracelsus Magazin: Ausgabe 2/1998

Beratung als helfender Prozeß – Teil 2

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r9903_pbSerie: PSYCHOLOGISCHE BERATUNG – Teil 2
Dr. Hartmut Gutsche, Psychotherapeut (HPG) ist Mitglied im wissenschaftlichen Beirat des Verbandes Freier Psychotherapeuten und Psychologischen Berater e.V. (VFP) und gibt in unserer Serie Ratschläge für die psychologische Praxis:

 

Fragetechnik

„Klug fragen können ist die halbe Weisheit”, sagte der englische Philosoph und Lordkanzler Francis Bacon (1561-1626). Wir wandeln das Wort ab und sagen:
„Kluge Fragen sind der halbe Beratungserfolg”.

Fragen schaffen Antworten. Fragen und Antworten gemeinsam machen aus der Begegnung ein Gespräch. Eine Summe von Monologen ist kein Gespräch. Eine Summe von Klienten- oder Beratungsmonologen ist noch lange keine Beratung. Ohne Gespräch aber gibt es – in der Regel – auch keine Beratung. Also ist der Schluß erlaubt: Ihre Fragen sind das wichtigste Gesprächselement; sie sind der entscheidende Schritt zum Heil- und geschäftlichen Erfolg. Es empfiehlt sich, die Kunst des richtigen Fragens zu erlernen.

Psychologischer Berater: Er weiß alles über seinen Fachbereich. Er kennt die Methoden um Probleme lösen zu helfen. Aber oft weiß er nicht, was den Klienten gerade heute beschäftigt. Was tut er? Er fragt.

  • Durch Fragen ergründet er zurückliegende und aktuelle Probleme des Klienten
  • Dann berät er und vermittelt gemeinsame Lösungswege
  • Durch Fragen bekommt er Zugang zum Klienten
  • Durch Fragen stellt er den Klienten vor Alternativen: „Wollen Sie lieber auf… verzichten oder wollen Sie, daß es Ihnen noch schlechter geht?”

Welche Fragearten finden nun in der Psychologischen Praxis ihre Anwendung:

  • Die offene Frage beginnt stets mit einem Fragewort. Es kann nicht nur mit „ja” oder „nein” geantwortet werden. Lenken Sie die Frage immer in die positive Richtung. Ihr Beispiel: Was ist für Sie wichtig?
  • Die geschlossene Frage beginnt stets mit einem Tätigkeitswort (Verb oder Hilfsverb). Die Antwort kann nur aus einem Wort bestehen (ja, nein, vielleicht). Ihr Beispiel: „Wollen Sie so weiter leben wie bisher?”
  • Die Alternativfrage beinhaltet mindestens zwei Wahlmöglichkeiten. Setzen Sie an die letzte Stelle die von Ihnen gewünschte Alternative. Entscheidungen sind das Schwierigste im Leben eines Menschen. Er hat Angst, einen Fehler zu machen und er mag die Qual der Wahl nicht. Helfen Sie durch das Anbieten von Alternativen im Konflikt der Entscheidung. Ihr Beispiel: „Wann … heute oder morgen …”
  • Die Gegenfrage bringt Hintergrundinformationen über Motive, Antwortwünsche und Meinungen. Sie gibt Bedenkzeit und die Möglichkeit, die Gesprächsführung zu übernehmen. Ihr Gesprächspartner sagt: „Was raten Sie mir denn?” Ihre Antwort: „Was ist für Sie noch wichtig?”

Regeln für das WIE der Fragen:

  • Es kommt nicht nur darauf an, daß man fragt, sondern daß man die richtige Frage an der richtigen Stelle im Gespräch stellt.
  • Grundsätzlich haben alle Fragen das Ziel, Denkvorgänge beim Klienten zu lenken. Stellen Sie keine Fragen, die die Gedanken des anderen in negative Richtungen lenken
  • Fragen Sie weich und abgefeilt! Besonders offene Fragen wirken sonst hart und aushorchend. Begründen Sie ihre Fragen. Nutzen Sie den Namen oder nette Einleitungen
  • Stellen Sie immer nur eine Frage
  • Schweigen Sie nach dem Stellen einer Frage, damit Sie eine Antwort bekommen
  • Stellen Sie keine Fragen, die Ihr Klient nicht beantworten kann. Er entwickelt sonst Unterlegenheitsgefühle
  • Bleibt die Beantwortung aus oder sind es Ihnen zu wenig Informationen, wiederholen Sie die Frage
  • Vermeiden Sie den Eindruck des Ausfragens. Stellen Sie keine Fragen, bei der Sie nicht begründen können, warum Sie diese Information brauchen

Grundsatz: Wer fragt, der erfährt und erreicht das Ziel der Beratung!

1. Vorbereitung

Um eine geschickte Frage stellen zu können, müssen Sie sich zunächst darüber im klaren sein, was Sie damit erreichen wollen. Jede Frage kann zur Sachebene und zur Beziehungsebene formuliert werden.
Bereiten Sie eine Frageliste vor. Sie enthält alle wichtigen Fragen, die dem Klienten helfen, seine Wünsche herauszufinden und zu einem Entscheid zu kommen.
Zum Schluß ordnen Sie die Fragen.

2. Das Stellen der Frage

  • Sie können Ihre Fragen entschieden besser vorbringen, wenn Sie die erste Frage stellen, bevor Sie Ihre Vorbereitungsnotizen einbringen. Behalten Sie Augenkontakt
  • Sie haben sich Ihre Fragen gut überlegt und es fällt Ihnen deshalb nicht schwer, sie auszusprechen – ohne unsicher zu wirken oder nach Worten zu suchen
  • Werfen Sie Ihre Fragen nicht einfach nur beiläufig hin oder betten Sie sie in einen Redeschwall ein
  • Lassen Sie Ihren Klienten deutlich merken, daß Sie Empathie (Verständnis) für ihn empfinden

3. Zuhören

Eine Frage nützt nichts, wenn Sie sich die Antwort nicht aufmerksam anhören. Gut zuzuhören erfordert Verständnis.
Häufig ist unser Geist unseren Ohren schon weit voraus. Aber wenn wir insgeheim schon ungeduldig warten, selbst wieder zu Wort zu kommen, sind wir nicht aufmerksam genug.
Versuchen Sie nie, den Klienten zu überzeugen, daß er unrecht hat und versuchen Sie nie ihm zu zeigen, daß Sie klüger sind als er. Stellen Sie lediglich Fragen. So viele Fragen, bis die Antwort vorliegt und eine eindeutige, solide Schlußfolgerung ermöglicht.

4. Reaktionen

Dringen Sie durch Ihre Fragen nach und nach immer tiefer in die zu besprechende Angelegenheit ein. Mit jeder taktvollen, kurzen Zwischenfrage kommen Sie näher an Ihr Ziel. Geben Sie dem Klienten Zeit. Beim ersten Gespräch erläutern Sie dem Klienten Ihr Fragesystem nicht. Das weckt Neugierde und vergrößert die Chance, zu weiteren Beratungsgesprächen zu kommen.

10 Regeln für eine erfolgreiche Fragetechnik

  1. Erstellen Sie vor dem Gespräch einen Fragekatalog. Bereiten Sie sich präzise auf die möglichen Antworten vor und richten Sie Ihre weiterführenden Fragen entsprechend aus
  2. Formulieren Sie in der Gesprächsvorbereitung die ersten Fragen komplett vor. Konzentrieren Sie sich auf Ermittlungsfragen.
  3. Nutzen Sie Ihr ganzes Repertoire an Fragearten
  4. Setzen Sie die Strategie der richtigen Antworten ein. Packen Sie die – aus Klientensicht – wichtigen Punkte in entsprechende Fragen
  5. Achten Sie darauf, immer wieder Kontroll- oder Bestätigungsfragen einzubauen. Sie ersparen Ihnen unter Umständen die Mühe, noch einmal von vorne beginnen zu müssen.
  6. Vermeiden Sie peinliche Fragen. Antworten, die Ihr Gegenüber gern gibt, sind meistens auch für die Beratung wertvoll
  7. Steuern Sie den Gesprächsverlauf so, daß mit zunehmendem Gesprächsfortgang die Redebeiträge des Klienten überwiegen und Ihr Frageanteil abnimmt
  8. Achten Sie auf die nonverbalen Antworten des Klienten. Ein Kopfnicken kann eine deutlichere Antwort sein als langatmige Ausführungen
  9. Zeigen Sie ehrliches Interesse mit Ihren Fragen. Sie signalisieren damit, daß Sie den Klienten und seine Belange ernst nehmen
  10. Stellen Sie herzliche Fragen. Gerade in der abschließenden Gesprächsphase sollten Ihre Fragen von Herzen kommen. Sie gewinnen damit Sympathie

So trainieren Sie Ihre Fragetechnik

Mit dieser Übung erhalten Sie einen Eindruck von der Qualität Ihrer Fragetechnik und können sie erfolgreich weiterentwickeln. Inszenieren Sie mit einem Kollegen ein Beratungsgespräch: Sie spielen den Berater, Ihr Kollege den Klienten. Vor dem Rollenspiel sollten Sie eine Liste mit den Informationen erstellen, die Sie von Ihrem Klienten unbedingt erhalten wollen. Zeichnen Sie das Gespräch auf Band auf und analysieren Sie danach Ihre Fragetechnik .

  • Wieviele Fragen haben Sie gestellt?
  • In welcher Form haben Sie die Fragen im Beratungsgespräch plaziert?
  • An welcher Stelle haben Sie welche Frageform gewählt und warum?
  • Haben Sie die nötigen Informationen vom Klienten erhalten? Wenn ja, welche Fragen waren die erfolgreichen? Wenn nein, welche Fragen hätten Sie noch stellen müssen?
  • Welche rhetorische Qualität haben Ihre Fragen?
  • Hat Ihre Fragetechnik bereits Verhörcharakter?
  • Wie fühlte sich Ihr Kollege bei den verschiedenen Fragen?

Spielen Sie danach das Beratungsgespräch noch einmal durch. Nehmen Sie auch die Wiederholung auf Band auf und analysieren Sie Ihre Fortschritte. Sie werden sehen: Bald werden Sie ein routinierter Fragesteller! Na dann, viel Erfolg!

Im nächsten Heft wird der Autor diesen Beitrag mit dem Thema: „Beraten als helfender Prozeß – Methodik des psychologischen Einzelgesprächs” fortsetzen.

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