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aus dem Paracelsus Magazin: Ausgabe 5/2020

Neurodegeneration – Das Gehirn ist, was es isst

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In Deutschland leiden aktuell etwa 1,5 Millionen Menschen an Demenz, wobei jene vom Typ „Alzheimer“ vorherrschend ist. Die Pathogenese dieser Erkrankung ist multifaktoriell und bislang nur in Teilen aufgeklärt. Es mehren sich immer mehr Hinweise darauf, dass der neuronale Zelltod durch Entzündungsprozesse getriggert ist und Inflammason (ein spezieller Proteinkomplex) dabei eine wesentliche Funktion einnimmt. Im Rahmen der Prävention ist der persönliche Lebensstil von Bedeutung, wobei nutritive Einflüsse wohl ebenfalls eine Rolle spielen. Für diverse sekundäre Pflanzeninhaltsstoffe, die antiinflammatorisch wirken, zeichnet sich eine neuroprotektive Wirkung ab. Studien zeigen, dass speziell die Aufnahme von Polyphenolen invers mit der Gefahr, an Demenz zu erkranken, korreliert.

„Nervenfeuer“ sorgt für Neuronenuntergang

Die Ursache der Alzheimer-Demenz ist in einem neuronalen Substanzverlust im Gehirn begründet. Dieses schrumpft im Verlauf der Erkrankung auf 80% seines Normalgewichts. Mikroskopisch wurde in den Gehirnen betroffener Patienten post mortem ein Untergang von Nervenzellen in der Hirnrinde und, daraus resultierend, eine Abnahme der synaptischen Übertragungsstellen beobachtet.

In den betroffenen Nervenzellen lagern sich zunächst knäuelartige Verdickungen, die Neurofibrillen, ab. Diese bedingen eine eingeschränkte Lebensfähigkeit der Zellen und verursachen deren Absterben, selbst bleiben sie als unlösliche Gebilde zurück. Die Neurofibrillen bestehen aus Proteinen („Tau-Proteinen“), die normalerweise für das Stützskelett der Zelle und den Transport innerhalb der Zelle von Bedeutung sind. Sie sind durch Anlagerung zusätzlicher Phosphatgruppen chemisch modifiziert und können die Transportfunktion nicht mehr erfüllen. Folge ist eine Mangelversorgung der Neuronen und Schrumpfung der Synapsen.

Parallel dazu bilden sich in den Zwischenräumen die für die Erkrankung typischen Amyloid-Plaques, die durch eine enzymatisch fehlgesteuerte Spaltung eines Vorläuferproteins entstehen. Dieses wird an zwei falschen Stellen im Molekül geschnitten, und die resultierenden pathologischen Fragmente lagern sich zu den Amyloiden zusammen. Man geht davon aus, dass bei Alzheimer-Patienten jede Sekunde ein pathologisches Fragment pro Amyloid hinzukommt. Interessanterweise finden sich die Ablagerungen schon bei Patienten mit leichten Alzheimer-Anzeichen (Vergesslichkeit, Konzentrationsschwäche), während die Fibrillen erst im Gehirn nachzuweisen sind, wenn klinisch das Vollbild der Erkrankung vorliegt.

Interessant ist in diesem Zusammenhang die Entdeckung eines molekularen Schalters, der die Entzündungen im Gehirn fördert. Es handelt sich um einen Proteinkomplex (Inflammason), der in den Mikrogliazellen des Gehirns aktiviert werden kann. Die beim Untergang von Nervenzellen freiwerdenden Tau-Proteine setzen eine Immunreaktion der Mikrogliazellen in Gang, im Zuge derer proinflammatorisch wirksame Zytokine freigesetzt werden. Das Inflammason gilt als Bindeglied zwischen der Ausbildung der Amyloide und der Tau-Pathologie.

Auch oxidative Prozesse spielen bei der Neurodegeneration eine Rolle. Werden die empfindlichen neuronalen Zellmembranen durch den oxidativen Angriff modifiziert und geschädigt, ist eine synaptische Transmission nicht mehr oder nur eingeschränkt möglich. Ein weiterer Grund für das besondere Risiko durch freie Radikale liegt im hohen Eisen- und Kupfergehalt der Basalganglien, wodurch die Bereitstellung aggressiver Hydroxylradikale und die dadurch bedingte Peroxidation der Membranlipide der Neuronen begünstigt wird.

Neuroprotektion durch Polyphenole

Antiinflammatorisch und antioxidativ wirksamen Biomolekülen kommt bei der Prävention eine besondere Bedeutung zu. Hier können im Speziellen die Polyphenole (Flavonoide, Phenolsäuren) aus bestimmten Obst- und Gemüsesorten sowie Gewürzpflanzen empfohlen werden, denn deren vielfältige gesundheitsfördernden Effekte schließen v.a. eine effiziente entzündungshemmende und antioxidative Wirkung mit ein. Im Zusammenhang mit der Prävention von Demenzen und anderen degenerativen Erkrankungen ist zusätzlich die nervenzellschützende Wirkung dieser bioaktiven Pflanzeninhaltsstoffe von Interesse. In einer französischen Untersuchung wurden mehr als 1300 Personen ab dem 65. Lebensjahr über einen Zeitraum von 5 Jahren auf ihre Zufuhr an Polyphenolen (speziell Flavonoide) untersucht. Es zeigte sich, dass die Gruppe mit mittlerer Aufnahme im Vergleich zu jener mit der höchsten Aufnahme ein um 50% reduziertes Risiko für die Entwicklung einer Altersdemenz aufwies. Die SUVIMAX-Studie, an der über 2500 Probanden mittleren Alters teilnahmen, kam zu folgendem Ergebnis: Die Aufnahme bestimmter Polyphenole (diverse Flavonoide und Phenolsäuren, v.a. vom Typ „Anthocyane“) korreliert invers mit dem Risiko des Verlusts an mentaler Leistungsfähigkeit. Die Probanden, die eine gute Polyphenolversorgung hatten, konnten sich besser artikulieren und hatten ein besseres Gedächtnis, als jene, die eine geringe Zufuhr im Alltag praktizierten. Eine Kohortenstudie, die mit 652 Probanden durchgeführt wurde, bestätigte den positiven Effekt der gemischten Polyphenole auf die Verbesserung der kognitiven Eigenschaften.

In wissenschaftlichen Studien konnte gezeigt werden, dass Polyphenole, v.a. jene aus Beerenfrüchten, die Plastizität des Hippocampus deutlich verbessern und altersbedingte Veränderungen in Bezug auf die neuronale Signaltransduktion reversibel waren. Polyphenole aus Beerenfrüchten (z.B. Heidel-, Acai-, Gojibeeren) sowie Traubenkernextrakte (OPC) ergaben in tierexperimentellen Untersuchungen einen Anstieg der antioxidativen Kapazität, eine Verminderung des Untergangs von Neuronen sowie einen Rückgang der Gehirnatrophie. Interessant ist die hemmende Wirkung, die Polyphenole aus bestimmten Lebensmitteln (Früchte, Gewürze) auf die Fibrillen- und Amyloidbildung im Gehirn haben. Hier ergaben sich Hinweise auf eine Reduktion der Eiweißaggregation, die letztlich zur Plaquebildung führt.

Ebenso konnte eine Senkung erhöhter Homocysteinwerte durch Polyphenole festgestellt werden, denn auch die Hyperhomocysteinämie gilt als Risikofaktor für die Erhaltung der neuronalen Gesundheit.

Monosupplementierung nicht empfehlenswert

Obst, Gemüse und Gewürzpflanzen zeichnen sich durch eine Vielfalt an sekundären Pflanzeninhaltsstoffen aus, wobei die Polyphenole mit geschätzten 5000 verschiedenen Strukturen die umfangreichste Gruppe der sekundären Pflanzeninhaltsstoffe darstellen. Wir haben es mit „Vielstoffgemischen“ zu tun, die einem Wirksynergismus unterliegen. So stellen Polyphenole Antioxidanzien dar, die sich wechselseitig zur Regeneration bedingen. Bei hochdosierten Einzelgaben sind prooxidative Effekte nicht auszuschließen.

Als besonders polyphenolreich gelten Beerenfrüchte, allen voran Gojibeere und Acaibeere. Bei den Gemüsesorten sind es v.a. Kohlsorten, Knoblauch und Spinat.

Auch Resveratrol wird zu den Polyphenolen gerechnet, obgleich es chemisch betrachtet ein Stilbenderivat darstellt. Es führt zur erhöhten Aktivität von Sirtuinen (Histon-Deacetylasen), wodurch es zur Beeinflussung der Signaltransduktionswege und zur Regulation der Genexpression kommt. Solche epigenetischen Kontrollmechanismen sind, wie inzwischen aus der Molekularbiologie bekannt ist, von erheblichem Einfluss auf Entzündungs- und Alterungsprozesse. Resveratrol wird im menschlichen Organismus rasch metabolisiert und in Sulfat- und Glucuronidkonjugate überführt. Untersucht wurden Dosierungen zwischen 0,1 und 2,5 mg/Tag, die als probat bei mehrwöchiger bzw. längerfristiger Anwendung gelten. In diversen Studien konnte gezeigt werden, dass die Substanz am besten in Kombination mit anderen natürlich vorkommenden sekundären, antioxidativen und antiinflammatorischen Pflanzenstoffen wirkt. Dies wurde v.a. im Hinblick auf die Krebsprävention beschrieben. Empfehlenswert ist daher die Anwendung im natürlichen Verbund mit anderen polyphenolreichen Pflanzenextrakten (z.B. Beeren-, Gemüse-, Gewürzpflanzenextrakte). Bei der Auswahl geeigneter Präparate sollte auf eine entsprechende Vielfalt und eine Standardisierung geachtet werden (z.B. „plantazym“, Apotheke). Obwohl von der Deutschen Gesellschaft für Ernährung (DGE) für Polyphenole (noch) keine Zufuhrempfehlungen ausgesprochen werden, resultiert aus diversen wissenschaftlichen Untersuchungen eine Verzehrempfehlung von 100-200 mg Polyphenole pro Tag.

Fazit
Im Zuge der prognostizierten Überalterung der Bevölkerung kommt einer antidementiven Lebensweise eine besondere Bedeutung zu. Ausreichend körperliche und geistige Aktivität, Vermeidung von Übergewicht und eine polyphenolreiche, pflanzenbetonte Kost zählen zu den wichtigsten präventiven Maßnahmen.

Prof. Dr. rer. nat. Michaela Döll
Dipl.-Biologin mit mehrjähriger Forschungserfahrung, Expertin für Lebensmittelchemie und Ernährungsmedizin
mail@prof.drmdoell.de

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