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aus dem Paracelsus Magazin: Ausgabe 1/2021

Interview: Keine Gefahr durch Heilpraktiker

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„Heilpraktiker richten viele Schäden an!“ Eine Aussage, die derzeit von zahlreichen Medien kolportiert wird. Doch stimmt das überhaupt? Journalist Johannes W. Steinbach hat bei jemandem nachgefragt, der es wissen muss: Robert Zellerer, Landesdirektor „Continentale“ und seit über 35 Jahren Berufshaftpflicht-Versicherer zahlreicher Heilpraktiker (m/w/d).

Herr Zellerer, wie viele Heilpraktiker sind derzeit bei Ihnen Berufshaftpflicht-versichert?

Von insgesamt 47000 bundesweit tätigen Heilpraktikern sind aktuell rund 24000 bei „Continentale“ mit ihrer Berufshaftpflicht versichert. Davon entfallen ca. 12000 auf unsere Landesdirektion „Die Zellerer GmbH“, die ihren Sitz in München und somit im Bundesland Bayern hat, in dem von allen bundesweit aktiven Heilpraktikern nahezu die Hälfte praktiziert.

Wie schätzen Sie die Gefahrenlage in den Heilpraktikerpraxen ein: Kommt es häufig zu Schadensfällen?

Die Gefahrenlage ist definitiv sehr gering! Die Anzahl der Schadensfälle ist dermaßen minimal, dass „Continentale“ nicht einmal einen eigenen Punkt in der Schadenstatistik für Heilpraktiker-Risiken vorsieht. Bei anderen Versicherern sieht es ähnlich aus. Weder bei manuellen Therapieverfahren wie Chiropraktik oder Osteopathie noch bei invasiven wie Akupunktur oder Injektionen gibt es nennenswerte Schäden.

War das schon immer so?

Ich bin nun seit über 35 Jahren in dieser Branche aktiv. In dieser Zeit hat sich der jährliche Beitrag für Berufshaftpflicht-Versicherungen von Heilpraktikern beim Unternehmensverbund „Continentale“ nahezu halbiert: von 300 DM netto (1985) auf 90 Euro netto (2020). Dagegen hat sich die Versicherungssumme für Personen- und Sachschäden fast versechsfacht: von 1000000 DM auf 3000000 Euro.

Und dass eine Versicherung den Beitrag nicht senkt bzw. die Versicherungssumme erhöht, wenn tatsächlich viele Schadensfälle vorliegen würden, dürfte wohl jedem einleuchten. Wir Versicherer würden und müssten, wenn Heilpraktiker tatsächlich so schadensträchtig wären, die Beiträge schon entsprechend nach oben anpassen. Und dass man von 1985 bis 2020 von einem repräsentativen Zeitraum sprechen kann, steht wohl außer Zweifel: Zahlen lügen nicht!

Wie erklären Sie sich diese positive Entwicklung mit weniger Behandlungsschäden durch Heilpraktiker?

Meiner Meinung nach dürfte das v.a. daran liegen, dass sich das Angebot der Heilpraktikerschulen in diesem Zeitraum qualitativ und quantitativ stark verbessert hat. Die Gefahr der Patienten, wenn sie denn überhaupt jemals gegeben war, hat sich dadurch nachhaltig verringert.

Wenn es dann doch mal zur Meldung eines vermeintlichen Schadens kommt, beruht dieser meist eher auf einer falschen Erwartungslage einzelner Patienten, die austherapiert zum Heilpraktiker gehen und dann Wunder erwarten bzw. fordern, weil Heilpraktiker-Behandlungen überwiegend aus der eigenen Tasche zu zahlen sind. Bleibt dieses Wunder dann aus, muss ein Schuldiger gefunden werden, damit man zumindest finanziell noch was rausholen kann. Man sollte sich eher fragen, warum die Beiträge für Ärzte immer schneller steigen …

Wie genau sieht es denn bei den Ärzten aus?

Bei den vergleichbaren Beiträgen zur Berufshaftpflicht-Versicherung für Ärzte haben wir gegenüber den Heilpraktikern im Marktvergleich oft einen zigfach höheren Beitrag. So kostet die Berufshaftpflicht-Versicherung eines Heilpraktikers beim Unternehmensverbund „Continentale“ derzeit 90 Euro netto jährlich bei einer Versicherungssumme von 3 Millionen Euro für Personen- und Sachschäden. Ein Allgemeinarzt zahlt dagegen 866 Euro netto bei derselben Versicherungssumme.

Aussagen wie „Heilpraktiker richten viele und hohe Schäden an“ sind nicht haltbar. Etwas Unwahres wird nicht richtiger, nur weil es von bestimmten Lobby-, Politik- oder Medienvertretern immer wieder gebetsmühlenartig wiederholt wird!

Heißt das: „Alles perfekt!“ Oder sehen Sie weiteres Verbesserungspotenzial bezüglich Ausbildung und freier Therapiewahl der Heilpraktiker?

Da gibt es durchaus noch Dinge, die weiter verbessert werden könnten. So sollten meiner Meinung nach gewisse Standards eingeführt werden. Diesbezüglich auf einem tollen Weg ist z.B. die „Initiative für Qualitätssicherung im Heilpraktikerberuf“ (IQHP), die sich u.a. für die folgenden Ziele einsetzt: geregelte Dokumentation der Ausbildungsnachweise für Berufsanwärter, mehr Verantwortung und Kontrollpflichten für die Heilpraktiker-Berufsverbände, Schaffung einer gesetzlichrechtlichen Standesregelung und eines Beschwerde-Management-Centers für Patienten.

Unabhängig vom vorliegenden Zahlenwerk möchten Teile der Politik sowie einige Lobbyisten den Beruf des Heilpraktikers am liebsten abschaffen. Was halten Sie davon?

Davon halte ich gar nichts! Man sollte dem mündigen Bürger selbst überlassen, welche Behandlung bzw. welchen Behandler er wählt. Und die Politik sollte sich ruhig einmal fragen, ob das Heilpraktikerwesen nicht auch für sie zahlreiche Vorteile birgt. Abgesehen vom wertvollen Beitrag der Heilpraktiker zur Gesundheit der Bevölkerung gibt es auch finanzielle Vorteile, die ich anhand konkreter Zahlen erklären möchte: So beträgt das Jahresabrechnungsvolumen aller rund 47000 hierzulande tätigen Heilpraktiker rund 1 Milliarde Euro, wovon ca. 530 Millionen Euro auf Selbstzahler und 470 Millionen auf Versicherte Privater Krankenversicherungen (PKV) entfallen.

Bei einer angenommenen Durchschnittshöhe einer Heilpraktiker-Rechnung von 150 Euro ergibt dies ein Stückzahlvolumen von etwas über 3 Millionen Rechnungen pro Jahr. Geht man nun davon aus, dass der PKV-Versicherte nach Abschaffung des Heilpraktikers zu einem Privatarzt geht, wird die Rechnungshöhe wohl eher 500 bis 1000 Euro betragen.

Bei Versicherten einer Gesetzlichen Krankenversicherung würden die Kosten durch den Wechsel vom HP zum Kassenarzt aufgrund der gesetzlichen Vorgaben zwar nicht ganz so explodieren, dennoch würden auch im Bereich der GKV die Kosten steigen, weil ja dann der Patient, der den Heilpraktiker bisher selbst bezahlt hat, wieder zum Kassenarzt geht, was letztendlich alle gesetzlich Versicherten mitfinanzieren müssten.

Herr Zellerer, ich danke Ihnen für diesen Blick hinter die Kulissen und Ihre offenen Worte.

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