aus dem Paracelsus Magazin: Ausgabe 1/2021
Fallstudien
Fallstudie aus der naturheilkundlichen Praxis
Chronische Migräne
Patientin
30 Jahre, in der 20. Schwangerschaftswoche
Die junge Frau kommt verzweifelt in meine Praxis. Seit 2 Jahren leidet sie unter starken Migräneattacken mit Aura, die aus dem Nichts auftraten. Schmerztabletten kann sie nicht einnehmen, da sie mit Zwillingen schwanger ist.
Beschwerden
Die Schmerzen ziehen sich jedes Mal über 4-5 Tage und treten mittlerweile wöchentlich auf, sodass sie kaum noch schmerzfrei ist. Es beginnt mit Flimmern vor den Augen und Erbrechen, dann kommen starke Kopfschmerzen: im ganzen Stirnbereich, um die Augen herum, dazwischen sowie an den Schläfen. Die Übelkeit sitzt im Halsbereich.
Anamnese
Bei einer klassisch homöopathischen Behandlung ist nicht nur die Akutsymptomatik für die Verschreibung wichtig, sondern es müssen auch alle anderen Beschwerden mit in Betracht gezogen werden:
Die Schwangerschaft verläuft unauffällig. Ihr war von Anfang an sehr übel. Ab und zu muss sich die Patientin übergeben. Sie fühlt sich kraftlos, klagt über Appetitlosigkeit, Zahnfleischbluten seit Beginn der Schwangerschaft und Verstopfung. Sie hat öfter Mundgeruch. Manchmal treten kleine Bläschen unter der Zunge auf. Sie ist sehr durstig. Oft verspürt sie kalte Hände, beobachtet Hautunreinheiten am Rücken und Achselschweiß, der unangenehm riecht. Ihr Schlaf ist gut. Seit 1 Jahr knirscht sie mit den Zähnen. Während des Schlafs kommt es zu Speichelfluss, beim Einschlafen zuckt sie regelmäßig zusammen. Zudem leidet sie unter Dysmenorrhoe.
Um aus homöopathischer Sicht zu verstehen, wie es zur Krankheitsentstehung der Migräne gekommen ist, sind auch die Familienanamnese und der Krankheitslebenslauf wichtig.
Familienanamnese
Vater: gesund
Schwester 1 des Vaters: gestorben an Brust-CA
Schwester 2 des Vaters: hat Zwillingskinder
Oma väterlicherseits: gestorben an CA
Mutter: Migräne, Nierenprobleme
Bruder 1: Hypothyreose
Bruder 2: Asthma als Kind
Vorgeschichte
Als Kind Windpocken und Neigung zu Tonsillitis. Keine Auffälligkeiten beim Impfen. Diastema. In der weiteren Entwicklung Zahnwurzelentzündung, Nierensteine und danach für 2 Jahre wiederkehrende Zystitiden, die teils mit Antibiotika behandelt wurden, Chlamydieninfektion, regelmäßig weißlicher Ausfluss, Scheideninfektionen, da die Spirale nicht vertragen wurde. 2 Schwangerschaften im Abstand von 3 Jahren (einmal Entbindung per Notsectio), beide Male gestillt. 1 Jahr nach der Geburt des 2. Kindes Entfernung der Gallenblase wegen Gallensteinen, seit 2 Jahren Migräne- und Kopfschmerzattacken, im letzten Jahr Hörsturz, seitdem chronischer Tinnitus.
Therapieverlauf
Bei einer Migräne muss man unterscheiden, ob sie hereditär ist, beginnend oft im jungen Alter mit Schulkopfschmerzen, oder ob sie später erworben wird. In diesem Fall vermute ich zunächst, dass es sich um eine erworbene Form handelt, da die Patienten berichtet, nie vorher mit Kopfschmerzen zu tun gehabt zu haben. Daher gehe ich davon aus, dass eine sykotische Ansteckung, deren Unterdrückung, andere Unterdrückungen (Gallenblasenentfernung) und OPs (Sectio) diese weiter angefacht haben und daraus die Migräne entstanden ist.
Die Sykose ist eine der von Hahnemann entdeckten chronischen Grunderkrankungen: Psora, Sykose und Syphilis. Diese und Kombinationen daraus sind seiner Meinung nach verantwortlich für sämtliche Krankheitsgeschehen. Die Sykose beruht auf einer venerischen Ansteckung mit Gonokokken oder Chlamydien.
Meine erste Verordnung ist Sepia C200 – bei unterdrückter Sykose und als wichtiges Migränemittel – in der Wasserglasmethode. Dabei werden 2 Globuli pur eingenommen und dann weitere 2 in Wasser gelöst in Abständen gegeben. Diese Einnahmeart ist sinnvoll bei akuten Geschehen.
Da die Patientin starke Schmerzen hat, gebe ich ihr ein zweites Mittel mit, falls Sepia nicht wirken sollte: Pulsatilla C200. Tage später: Wir telefonieren. Es hat sich nichts geändert, woraufhin ich den Wechsel des Mittels anordne.
Nach 2 Wochen wird mir berichtet, dass die Globuli sehr gut wirken. Die Schmerzen seien zu Beginn noch täglich aufgetreten, mit der Lösung könnten sie aber gut in Schach gehalten werden. Nach 1 Woche waren die Kopfschmerzen weg!
Neue Verschreibung: Bei Bedarf Pulsatilla C200 in der Wasserglasmethode und als chronisches Mittel Tuberkulinum KochAlt LM6.
Inzwischen gehe ich nicht mehr von der Sykose als Ursache für die Kopfschmerzen aus, sondern von einer tuberkulinisch-kanzerinischen Causa. Hier handelt es sich um Kombinationen aus den o.g. Grundmiasmen. Dies begründe ich mit den Erkrankungen in der Familie sowie mit ihrem eigenen Lebenslauf (Diastema, Tonsillitis, Dysmenorrhoe, Nierensteine, Hörsturz, Zähneknirschen usw.).
Fazit
Die Patientin hat seit der Einnahme von Tuberkulinum keine Kopfschmerzen mehr gehabt und inzwischen 2 gesunde Kinder entbunden.
An diesem Fall sieht man, wie wichtig es ist, nicht nur die aktuellen Symptome zu beachten, sondern auch den miasmatischen Hintergrund. Die Miasmenlehre ist für mich die Grundlage jeder homöopathischen Verschreibung!
Patricia Torff
Heilpraktikerin in eigener Praxis mit Schwerpunkten Klassische Homöopathie und Schmerztherapie nach Liebscher & Bracht, Dozentin an der Paracelsus Schule Zürich
info@patricia-torff.de
Fallstudie aus der Coaching-Praxis
Furcht überprüfen und Kommunikation kontextuieren
Die Klientin ist aufgrund eines Telefonats aufgebracht und möchte dieses Gespräch dringend reflektieren. Sie braucht eine Hilfestellung dafür, wie sie die weitere Kommunikation stilistisch und inhaltlich gestalten kann.
Lebenssituation
Die Klientin ist Mitte 40, geschieden und lebt mit ihrer erwachsenen Tochter harmonisch zusammen. Sie ist beruflich seit vielen Jahren in Organisationen der Sozialwirtschaft engagiert und zurzeit besonders gefordert, da sie zwei Einrichtungen in der Sucht- und Behindertenhilfe leitet. Sie gilt als zuverlässig, belastbar und fürsorglich. Bei allen sehr beliebt, zumal sie selbst in krisenhaften Zeiten bemüht ist, Beschäftigte, Angehörige und Ämter in ihre Entscheidungen einzubeziehen. Da sie klar in Struktur und Kommunikation ist, erhielt sie von verschiedenen Seiten besondere Anerkennung für ihr Corona-Management, das nicht nur solide begründet, sondern auch kreativ war und ist.
Anlass
Sie schildert, dass sie vom Leiter einer Behörde am Vortag angerufen und erniedrigend abgespeist wurde. Das habe sie massiv irritiert, sodass sie nun Furcht vor dem Kommenden habe. Sie sei völlig überrascht worden von dem Ton und der Art (beleidigend, abweisend) sowie vom Inhalt (massive Kritik), denn sie habe mit dem Leiter bisher sehr gut zusammengearbeitet. Er habe ihr auch zum Management in der Pandemie-Situation Komplimente gemacht. Auch das eine oder andere Persönliche sei besprochen worden. Immerhin kennen sie einander seit Jahren.
Im Telefonat habe er ihr jedoch in kaltem Ton mitgeteilt: Er wolle sie darüber informieren, dass in Kürze eine Sonderprüfung seitens seiner Vorgesetzten auf sie zukomme. Das habe er von seiner Chefin erfahren, es sei auch politisch. Dann habe er einfach aufgelegt. Sie sei zurückgeblieben: perplex, überrumpelt, voller Fragen. Was sie mit ihrer Gesprächsführung falsch gemacht habe und was sie anders machen solle, sind ihre Fragen.
Coaching
Zunächst wird die Klientin gebeten, ihre Reaktionen im Gespräch zu schildern (Wer sagte was in welchen Worten?). Danach soll sie ihre spontanen Reaktionen (Emotionen, Gedanken, Handlungsimpulse) beschreiben.
In ihren Antworten finden sich die bereits genannten Wertungen und Empfindungen sowie der Hinweis, sie sei dermaßen vor den Kopf gestoßen gewesen, dass sie nicht einmal rückgefragt habe, sondern in Rechtfertigungszwang gegangen sei. Im Bereich „Handlungsimpuls“ gibt sie an, dass sie den Behördenleiter am liebsten sofort zurückgerufen hätte, um ihm mitzuteilen, dass sie seinen Auftritt völlig daneben gefunden habe.
Während der Reflexion versucht die Klientin, andere Perspektiven einzunehmen und neue Vorannahmen zu fassen. Die gute Arbeits- und Beziehungsebene zwischen der Klientin und dem Behördenleiter wird in den Fokus genommen. Dieser Sachverhalt wird als Sprungbrett für eine Bewertung genutzt, die sie zu souveränem Handeln ermuntern kann.
Perspektivenänderung und Kontextuieren
Die Frage ist: Wie lassen sich das Kurz-Angebundensein, die Abwesenheit von Begründung und Gesprächsbereitschaft anders als mit Unverschämtheit deuten? Psychologisch begründet könnte eine alternative Perspektive so aussehen:
Er ist gerade wegen der guten Beziehungsebene so brüsk: Es ist ihm höchst unangenehm, eine Prüfung anzukündigen. Deshalb auch seine Knappheit und Weigerung, weiter mit ihr zu sprechen; jedenfalls nicht, bevor das Gespräch zwischen Klientin und Chefin stattgefunden hat. Man kann das Verhalten auch als Resultat von Scham deuten.
Das Weglassen der Begründung kann unter Rekurs auf die sehr gute Arbeitsbeziehung, inkl. der Anerkennungsbezeugung für die Arbeit der Klientin, auf der Ebene der Wertschätzung gedeutet werden: Gerade weil er ihre Arbeit sehr schätzt, ist es ihm nicht möglich, die Angemessenheit einer Überprüfung plausibel zu begründen. Der Hinweis auf das „Politische“ ist ein Indiz dafür, dass er nicht hinter der bevorstehenden Prüfung steht und es ihm sehr unangenehm ist, ihr das zuzumuten und mitzuteilen.
Dass er ihr überhaupt diese Mitteilung macht, kann als Zeugnis für Vertrauen und Respekt gewertet werden. Denn er hätte sie nicht benachrichtigen müssen.
Ausblick
Die Klientin prüft mehrfach, inwiefern diese Sichtweise „stimmig“ sei, ob sie sich nicht nur plausibel durchdenken lasse, sondern sich auch richtig anfühle: Respekt, Wertschätzung und Scham statt Unverschämtheit, Kälte und mangelnder Empathie.
Sie gesteht ein „Aha-Erlebnis“. Normalerweise stelle sie ihre spontanen Gefühle, Vorannahmen und Impulse nicht infrage. Zukünftig werde sie in Situationen, die sie belasten, verstärkt zurücktreten, verschiedene Deutungsmöglichkeiten probieren und dabei besonderen Wert auf „abwegige“ Interpretationen legen, alles prüfen – und erst danach reagieren.
Dr. rer. soc., MA phil. Regina Mahlmann
Promovierte Soziologin, Coaching,
Beratung und Training im Bereich Führung, Buchautorin
drmahlmann@aol.com
Buch-Tipp
Dr. Regina Mahlmann:
Konflikte souverän managen –
Konzepte, Maßnahmen, Voraussetzungen.
Beltz Verlag
Fallstudie aus der tierheilkundlichen Praxis
Plötzliche Gewichtsabnahme bei Ziervögeln
Patient
Fritzi, Wellensittich, weiblich, 2 Jahre
Ohne ersichtlichen Grund verliert Fritzi plötzlich deutlich an Gewicht, obwohl sie viel frisst. Ihr Allgemeinzustand verschlechtert sich zusehends. Sie schläft sehr viel, selbst bei Tageslicht. Ihr Federkleid ist struppig und der Schnabel schält sich. Schließlich wiegt sie nur noch 25g, was weit unter Normalgewicht liegt. Ein weiterer Gewichtsverlust wäre lebensgefährlich, weshalb ein schnelles Eingreifen notwendig wird.
Anamnese
Fritzi ist ein quirliger Wellensittich. Ein großer Käfig und reichlich Freilauf stehen ihr zur Verfügung. Sie bekommt täglich Mischfutter, frisches Gemüse und ein wenig Obst. Im Frühjahr und Sommer ist sie immer mehrere Stunden an der frischen Luft.
Als es jahreszeitbedingt kälter wird und sie nicht mehr hinausgelassen werden kann, stellen sich Veränderungen ein. Zunächst werden diese auf den Wetterwechsel geschoben. Da die weitere Entwicklung negativ eskaliert, wird eine etwaige Einsamkeit angenommen – Wellensittiche sollten generell nicht alleine gehalten werden. Deshalb wird als „Erste-Hilfe-Maßnahme“ ein Partner (Franz) angeschafft. Dabei wird im Vergleich deutlich, wie zart und zerbrechlich Fritzi mittlerweile ist.
Diagnose
Gewichtsverlust trotz normalem Fressverhalten ist typisch für eine Megabakteriose, die auch als „Going-light-Syndrom“ bekannt ist. Es stellt sich heraus, dass die Patientin tatsächlich an dieser Infektionskrankheit leidet.
Ziel und Herangehensweise
Das Normalgewicht für Wellensittiche von 30-40g ist inzwischen deutlich unterschritten. Fritzi darf keinesfalls weniger als 20g wiegen, dann bestünde Lebensgefahr. Zudem muss ihr Partner Franz vor einer Ansteckung geschützt werden, denn beide Vögel voneinander zu trennen, würde zusätzlichen Stress bedeuten. Deshalb werden beide Tiere zusammen behandelt.
Therapie
Fritzi hat keinen Durchfall und erbricht sich nicht. Da sie gut frisst, muss sie nicht aufgepäppelt werden. Sie bekommt zunächst Nackthafer. Im Normalfall ist dieser mit Vorsicht zu genießen, denn er führt bei Wellensittichen zu Übergewicht; aber in Fritzis Fall ist die Gewichtszunahme erwünscht. Zudem werden Kolbenhirse und Wiesenkräuter gefüttert, die gut für den Darm sind.
Ich entscheide mich dafür, meine Therapie erst einmal ohne Antibiotika zu versuchen. Diese Option hebe ich mir für den absoluten Notfall auf. Jetzt möchte ich die Darmgesundheit weitestgehend erhalten und keinen Durchfall verursachen.
Es kommen folgende Präparate zum Einsatz:
Bird bene bac, um den Darm zu sanieren und zu stärken (1x täglich).
Die Medikamente Engystol, Mucosa comp. und Echinacea comp. unterstützen nach homöopathischen Prinzipien und werden mit der Spritze eingeflößt (jeweils 3 Tropfen täglich).
Zur allgemeinen Nahrungsergänzung werden Korvimin-Pulver (1 Messerspitze ins Futter) und Vitamin-Tropfen verabreicht.
Daneben wird mehrmals am Tag eine UV- und Rotlichtbestrahlung angeboten. Um Fritzis Interesse am Trinken zu wecken, wird ein kleiner Trinkbrunnen gebaut. Hierin werden Leckereien, u.a. Möhrenkraut, versteckt. Allein durch das Herausfischen wird schon mehr Flüssigkeit aufgenommen. Beide Vögel nehmen den Brunnen direkt an und mögen ihn sehr.
Verlauf und Status quo
Fritzi wird täglich gewogen. Bereits am zweiten Tag der Behandlung hat sie 2g zugenommen. Das ermutigt mich, mit der oben beschriebenen Therapie weiterzumachen.
Drei Wochen später wird Bilanz gezogen. Es lässt sich feststellen, dass sich die Herangehensweise gelohnt hat. Ich bin mit der Behandlung sehr zufrieden. Fritzi ist wieder viel mobiler und wiegt inzwischen 30g. Ihr Schnabel ist sehr gut abgeheilt. Zwar schläft sie immer noch recht viel, aber das kann auch daran liegen, dass es nun wirklich Winter geworden ist.
Fazit
Wenn ein Wellensittich frisst und weder unter Durchfall noch unter Erbrechen leidet, dann hat er gute Aussichten, auf dem vorgestellten therapeutischen Weg wieder fit zu werden. Da eine Megabakteriose schubweise verläuft, sollte man das Verhalten seines Wellensittichs jedoch genau beobachten und das Tier regelmäßig wiegen.
Das Beste, was grundsätzlich für die Gesundheit eines Wellensittichs getan werden kann, ist die Vergesellschaftung mit einem Partner. Die Vögel brauchen jemand zum Schnattern, Spielen und Kuscheln. Das können wir Menschen nicht ersetzen. Deshalb immer daran denken: Wellensittiche möglichst nicht als Einzeltiere halten.
Melanie Gonnermann
Tierheilpraktikerin,
Mitglied im Verband Deutscher Tierheilpraktiker e.V.
me-kch@t-online.de