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aus dem Paracelsus Magazin: Ausgabe 1/2021

Geriatrische Behandlung in der Naturheilpraxis

Cover

Unsere Gesellschaft wird immer älter und die Menschen wollen dabei fit, gesund und aktiv bleiben. Daher finden immer öfter auch ältere Patienten den Weg in unsere Praxen. Es geht ihnen nicht nur um die Behandlung akuter Zustände, sondern auch um das langfristige Überwachen und „Feintunen“ bestimmter Parameter, die Begleitung einer schulmedizinischen Behandlung und die Steigerung des allgemeinen Wohlbefindens. Der Umgang mit dieser Patientengruppe hat einige Besonderheiten, die ich im vorliegenden Beitrag beschreibe.

Ausbildung & Weiterbildung Pflege & Geriatrie

Spezielle Bedürfnisse

Ab dem 60. Lebensjahr häufen sich bestimmte Beschwerdebilder, über die wir als Heilpraktiker (m/w/d) tiefgreifende Kenntnisse haben müssen. Es ist genauso notwendig, dass wir erkennen können, wann naturheilkundliche Behandlungsmöglichkeiten an Grenzen stoßen und eine schuldmedizinische Therapie nötig ist, um Schaden vom Patienten abzuwenden.

Zu den häufigsten Krankheitsbildern, mit denen wir konfrontiert werden, zählen:

Kardiovaskuläre Erkrankungen
Hypertonie, Folgen von Herzinfarkt und Schlaganfall

Erkrankungen der Skelettmuskulatur
Osteoarthritis, Osteoporose, Rheuma, Arthrose, Arthritis

Neurologische Störungen
Depression, Demenz, Schwindel

Allgemeine Infektanfälligkeit
Erkrankungen des Verdauungssystems, Darmdysbiose

Besonders wichtig: die Pharmakologie

Die meisten dieser Patienten kommen mit einer langen Liste an Medikamenten, die sie einnehmen. Vor allem Blutdrucksenker, Statine, Schilddrüsenmedikamente, PPI, Marcumar oder ASS kommen schulmedizinisch sehr oft zum Einsatz. Das stellt uns als Heilpraktiker vor große Herausforderungen:

Erstens müssen wir genau über die möglichen Wechsel- und Nebenwirkungen der schulmedizinischen Medikamente Bescheid wissen. Zweitens müssen wir auch genau abschätzen, welche Nahrungsergänzungsmittel die Wirkung der Medikamente verändern.

Gerade bei Marcumar ist Vorsicht geboten, da sehr viele der Präparate, die regelmäßig in der Naturheilpraxis eingesetzt werden, starke Wechselwirkungen verursachen können.

Beispiele
Vitamine D und K2: Marcumar ist zwar ein K1-Antagonist, aber eine Wechselwirkung mit hohen K2-Dosen ist nicht ausgeschlossen. Der Quick-Wert steigt, eine Erhöhung der Marcumar-Dosierung ist nötig.

Q10 und Omega-3-Öle können das Blut fließfähiger machen. Hier wäre eine Senkung der Marcumar-Dosierung angezeigt.

Johanniskraut darf nicht in Kombination mit Antidepressiva (SSRI, SRI) genommen werden, da es zum toxischen Serotoninanstieg kommen kann. Allgemein hat Johanniskraut viele Wechselwirkungen, die beachtet werden müssen.

Wenn Sie sich nicht sicher sind, wenden Sie sich an den Hersteller, einen Apotheker oder Arzt.

Interdisziplinäre Zusammenarbeit

Und schon kommen wir zum nächsten Knackpunkt. Ältere Patienten haben meist einen Hausarzt und mehrere Fachärzte, bei denen sie regelmäßig vorstellig werden. Wir Heilpraktiker müssen also in der Lage sein, Arztbriefe richtig zu verstehen, einzuordnen und Blutbilder korrekt zu interpretieren.

In meiner Arbeit stelle ich immer wieder fest, wie wichtig eine gute Zusammenarbeit zwischen behandelndem Arzt und Heilpraktiker ist. Sofern es möglich ist, lassen Sie sich und den Arzt von der Schweigepflicht entbinden und arbeiten Sie gemeinsam an dem Fall! Wir dürfen keine schulmedizinische Medikation ändern. Lässt sich der Arzt darauf ein, kann der Behandlungsplan jedoch abgesprochen werden. Dies führt meist zu viel besseren Ergebnissen und dient dem Wohle des Patienten.

Einfühlungsvermögen

Nach einer ausführlichen Anamnese wird die Behandlung mit den Patienten besprochen. Auch hier muss deren Alter berücksichtigt werden.

Benutzen Sie einfache Worte, erklären Sie Fachwörter und Ihr genaues Vorgehen. Oft bedeutet das für den Patienten nämlich viele weitere Tabletten, Kapseln, Pulver oder Tropfen. Damit sind nicht wenige überfordert. Sie wollen nicht noch mehr Tabletten einnehmen, oder sie sind nicht mehr in der Lage dazu, diese so über den Tag zu verteilen, dass es keine Wechselwirkungen gibt.

Dann ist es nötig, von unserem optimalen Plan abzuweichen und erst einmal nur die dringlichste Erkrankung zu behandeln. Lieber einen Teilerfolg als gar keinen durch fehlende Compliance. Vielleicht können durch genaues Kombinieren von Wirkstoffen mehrere Fliegen mit einer Klappe geschlagen werden. Hier ist wieder unser Fachwissen gefragt. Ziel ist es, so viel Erfolg wie möglich mit so wenig Medikation wie möglich zu erreichen.

In der Praxis hat es sich bewährt, den Patienten einen genauen Einnahmeplan mitzugeben, am besten in großer Schrift gedruckt. Um sicherzustellen, dass der Plan verstanden wurde, können wir diesen vorlesen und wiederholen lassen.

Rezepte sollten leserlich ausgefertigt werden. Am besten für Präparate, die eine normale Apotheke bestellen kann. Mit Onlinekäufen sind viele ältere Patienten überfordert. Vielleicht können Sie auch deren Verwandtschaft mit einbeziehen und genau instruieren.

Behandlungsmöglichkeiten in der Naturheilpraxis

Phytotherapie
Pflanzliche Wirkstoffe sind starke Helfer im Kampf gegen Krankheiten im Alter. Einige Beispiele:

  • Weißdorn stärkt das Herz, fördert den Calciumeinstrom in die Zellen und wirkt positiv ionotrop. Er kann zur Behandlung einer leichten Herzinsuffizienz eingesetzt werden.
  • Mariendistel und andere Bitterstoffe, wie z.B. Enzian oder Löwenzahn, regen die Verdauung an und provozieren eine Freisetzung von Verdauungssäften in Magen und Pankreas. Viele ältere Menschen leiden an einem Mangel an Magensäure, wodurch wichtige Nahrungsbestandteile nur ungenügend aufgenommen werden. Die Bitterstoffe setzen hier wirkungsvoll an der Basis an.
  • Johanniskraut, Passionsblume, Hafer und Baldrian sind gut für die Psyche. Saisonale Depressionen, getrübte Stimmung, Antriebslosigkeit, Angst und Unruhe können gut behandelt werden.
  • Weihrauch, Beinwell und Teufelskralle sind wirksame Helfer gegen Entzündungen im Bewegungsapparat.

Achtung: Wir sollten immer bedenken, dass die Verwendung pflanzlicher Arzneimittel nicht unbedingt sanft oder nebenwirkungsfrei bedeutet. Mögliche Nebenwirkungen sind daher zu berücksichtigen!

Homöopathie

Bei dieser sanften Behandlungsmethode sind sehr viel Wissen und Feinfühligkeit unabdingbar. Mit ihr kann fast jedes Beschwerdebild behandelt werden. Unverzichtbare Voraussetzung ist eine genaue Anamnese.

Es ist grundsätzlich zu beachten, dass jedes Mal genau repertorisiert werden muss, ob das jeweilige Mittel auch wirklich zum Fall passt. Es sollten dabei nicht nur die körperlichen Symptome, sondern auch der Gemütszustand einbezogen werden. Die folgenden Beispiele können demnach nur als grobe Anhaltspunkte gesehen werden:

  • Cantharis bei Blasenentzündung mit brennenden Schmerzen.
  • Calcium carbonicum für adipöse Patienten, die nachts am Kopf schwitzen und eine träge Verdauung haben.
  • Carbo vegetabilis bei allgemeiner Schwäche, Atemnot, Lufthunger, Lungenkrebs, entmutigten Patienten mit düsterer Stimmung, Lebensmüdigkeit.
  • Cocculus bei Magen-Darm-Beschwerden, Übelkeit, Erschöpfung im Nervensystem (keine Substanz mehr, deshalb Schwäche und Zorn), Migräne und Schwindel.
  • Globuli werden gerne eingenommen, da sie nicht den Charakter eines Medikaments haben. Außerdem muss entgegen landläufiger Meinung nicht auf Kaffee, Zahnpasta o.Ä. verzichtet werden. Ein zeitlicher Abstand von 30 Minuten reicht völlig aus.

Ohrakupunktur

An unseren Ohren ist der komplette Mensch abgebildet. Man kann organbezogen Nadeln setzen oder nach französischer Lehre auch „Psycho-Punkte“ stechen. Es werden meist die 0,3er-Standardnadeln verwendet.

Die Einnahme von Marcumar oder anderen Blutverdünnern ist im Rahmen der Körperakupunktur meist eine Kontraindikation, da es zu Einblutungen ins Gewebe kommen kann. Bei der Ohrakupunktur ist mir bisher nichts passiert, es gab keine nennenswerten Nachblutungen oder blauen Flecken. Wenn Sie sich unsicher sind, können Sie eine Probenadel stechen und schauen, was passiert. Sollte es zu einer Blutung kommen, 3-5 Minuten lang stark komprimieren.

Vor allem Schmerzen am Bewegungsapparat, an inneren Organen und psychische Verstimmungen können mit der Aurikulotherapie nachhaltig behandelt werden.

Planen Sie mindestens 6-10 Sitzungen ein, im akuten Fall 2x pro Woche, bei chronischen Verläufen reicht eine Behandlung alle 2-4 Wochen.

Darmsanierung/Symbioselenkung

Viele ältere Patienten leiden unter Verdauungsproblemen, wie z.B. Fettverwertungsstörungen, Durchfall, Verstopfung oder Blähungen. Gründe hierfür sind mangelnde Sekretion von Verdauungssäften (altersbedingt oder durch PPI-Einnahme), wenig Bewegung, falsche Ernährung mit zu wenigen Ballaststoffen und zu vielen einfachen Kohlenhydraten.

Eine Ernährungsumstellung ist meist schwierig. Hier hilft die Zufuhr von gut gequollenen Flohsamenschalen, Haferflocken oder Pektin, um die Ballaststoffzufuhr zu erhöhen, was zusätzliches Futter für die „guten“ Bakterienstämme darstellt.

Während und nach Antibiotika-Gabe können ausgewählte Probiotika für eine ausgeglichene Darmflora sorgen. Arbeiten Sie sich in die verschiedenen Bakterienstämme ein und wählen Sie das passende Präparat aus. Dies sollte über mindestens 4-6 Monate eingenommen werden.

Die Verdauungsleistung kann mit Bitterstoffen angeregt werden. Wenn möglich, sollten PPI in Zusammenarbeit mit und durch den behandelnden Arzt reduziert und dann abgesetzt werden. Es kann dadurch zu einem Rebound-Phänomen kommen (kurzzeitige Verschlimmerung der Symptome, wegen denen das PPI-Präparat einstmals verschrieben wurde). Nach ein paar Tagen sollte sich das allerdings einspielen.

Fallstudie 1

Frau, 76 Jahre

Beschwerden: Obstipation abwechselnd mit Durchfall, Krebs oder Polypen, bereits abgeklärt. Magenhernie, dadurch Sodbrennen, Aufstoßen und Erbrechen, Omeprazol. Rezidivierende Blasenentzündung, Pruritus vaginalis. Herzrhythmusstörungen, Vorhofflimmern, 4-fache Medikation. Aszites und Ödeme, „Wassertablette“ wird nicht regelmäßig eingenommen. Schilddrüsenunterfunktion. Hyperparathyreodismus, Vitamin-D-Spiegel bei 11. Marcumarisiert, Quick eingestellt auf 20%. Beschwerden durch Arthrose in Knie und Hüfte.

Die Patientin kommt zu mir mit der Bitte um Ohrakupunktur. Diese führen wir seit fast einem Jahr in 2-wöchigem Abstand durch, abwechselnd mit Bezug zu Herz, Darm, Leber, Gelenken und Entwässerung.

Weiterhin nimmt sie dauerhaft Präbiotika und Femmanose ein. Für eine akute Blasenentzündung erhält sie Cantharis, der passende Punkt wird gestochen. Antibiotika sind nicht nötig. Gegen den Juckreiz verordne ich Spenglersan Kolloid G und die Bach-Blüten-Rescue-Creme, da die ärztlich verschriebene Cortison-Creme nicht vertragen wird.

Eine Absprache mit der Ärztin ist vonseiten der Patientin nicht gewünscht. Daher sind Verordnungen von Q10, Omega 2, Vitamine D und K2 nicht möglich. Im Verlauf verschreibt die Ärztin 20 000 IE Dekristol 1x wöchentlich und veranlasst eine Umstellung auf Esomeprazol, woraufhin sich auch die Magenprobleme verringern.

Der Allgemeinzustand der Patientin ist inzwischen stark verbessert. Die Verdauungsprobleme sind verschwunden. Die Gelenkschmerzen sind ohne Schmerzmittel unter Kontrolle, die Patientin ist sehr zufrieden.

Fallstudie 2

Mann, 70 Jahre

Beschwerden: Leichtes Übergewicht, leicht erhöhte Cholesterinwerte, Zustand nach Mitral- und Trikuspidalklappen-OP und Bypass. Medikamente: Blutdrucksenker, Diuretika, ASS, Allopurinol, Statine. L-Thyroxin wegen Schilddrüsenentfernung.

Therapieziel ist die Reduzierung der chemischen Medikamente, v.a. der Statine, da der Patient unter starken Nebenwirkungen leidet.

Der Abbau des leichten Übergewichts wird durch Reduktion von Süßigkeiten und Umstellung auf eine gesündere Ernährung erreicht. Der Cholesterinwert wird durch initial 2×3 Hafertage nach unten korrigiert. Der Vitamin-D-Wert wird gemessen und eingestellt.

Die Zusammenarbeit mit dem Hausarzt gestaltet sich sehr positiv. Dieser kontrolliert die Veränderung der Blutwerte engmaschig.

Aktuell erhält der Patient ASS, Allupurinol und L-Thyroxin, daneben Diuretika in stark reduzierter Dosis, die Vitamine D und K2 sowie Magnesium. Er isst dauerhaft 30g Haferflocken täglich. Die Blutwerte bewegen sich allesamt im optimalen Bereich. Der Blutdruck ist normal mit 135/80. Blutdrucksenker und Statine sind abgesetzt worden. Hausarzt und Patient sind sehr zufrieden.

Keine Angst vor älteren Patienten!

Mit Einfühlungsvermögen und dem richtigen Knowhow können sehr gute Ergebnisse erzielt werden. Teilweise geht es mehr um eine Begleitung des Patienten als darum, einen Fall bestmöglich abzuschließen. Gerade in der heutigen Zeit haben viele ältere Menschen kaum noch einen Ansprechpartner, der ihnen wertungsfrei, zugewandt und aufmerksam zuhört. Das hilft oft mehr als Medikamente.

Mit fachlichem Wissen, zwischenmenschlicher Kompetenz, Ruhe und Empathie können Naturheilpraxen so dankbare und treue Patienten gewinnen.

Daniela Czyschke
Heilpraktikerin mit Schwerpunkten Immunsystem, Darmgesundheit und Schmerztherapie, Dozentin an den Paracelsus Schulen
info@nhp-czyschke.de

Foto: © SHOTPRIME STUDIO / adobe.stock.com

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