Übersicht dieser Ausgabe    Alle Paracelsus Magazine

aus dem Paracelsus Magazin: Ausgabe 2/2019

Unlimited Osteopathie

Cover

Die Zahl der osteopathischen Behandlungen steigt stetig an und erfreut sich bei einer Vielzahl von Menschen hierzulande großer Beliebtheit. Dabei ist Osteopathie nicht gleich Osteopathie. Sowohl die Begrifflichkeit, der Ausbildungs- bzw. Studiengang der Osteopathen als auch die vorherrschenden Arbeitsweisen und Behandlungsphilosophien sind von Therapeut zu Therapeut, von Praxis zu Praxis, von Land zu Land sehr unterschiedlich.

So sind die Osteopathen in den USA, dem Ursprungsland der Methode, Ärzte und arbeiten als solche meist ohne jeglichen osteopathischen Ansatz, wie wir ihn hierzulande kennen. Zahlen belegen, dass die dort praktizierenden, ca. 45000 Osteopathen (D.O., Doctors of Osteopathic Medicine) etwa 5% der Gesamtbevölkerung der USA grundlegend medizinisch versorgen. Sie arbeiten also als Allgemeinmediziner, Hausärzte, Orthopäden und Chirurgen in lokalen Krankenhäusern oder Praxen und sind ihren Kollegen, den Medical Doctors (M.D.), gleichgestellt.

Bei unseren Nachbarn im europäischen Ausland bedeutet Osteopath zu sein meist einen eigenständigen, oft ärztlichen Beruf mit weitläufigen Tätigkeitsfeldern.

Hierzulande gestalten sich die grundlegende Definition, die standardisierte Ausbildung sowie die einheitliche Berufsauslegung auf den ersten Blick schwierig. Lange Zeit wurde die Osteopathie aufgrund ihrer zahlreichen manualmedizinischen Elemente – ohne Rechtsgrundlage – der Physiotherapie zugeschrieben und als Bestandteil der Manuellen Therapie, verramscht. Die Osteopathie wurde teils als Schnellkurs, teils als jahrelange Zusatzausbildung für Ärzte, Heilpraktiker und Physiotherapeuten angeboten.

Ein Gerichtsurteil im September 2015 regulierte das anfängliche Durcheinander dahingehend, dass die Osteopathie eine „Ausübung der Heilkunde“ darstellt und somit eine Bestallung als Arzt oder eine Erlaubniserteilung nach dem Heilpraktikergesetz bedarf. Dieses Urteil zeigt deutlich, dass die Osteopathie ein weitaus breiteres medizinisches Spektrum abdeckt als die reine Manuelle Medizin. Sie setzt eine solide und umfangreiche medizinische Grundausbildung voraus, wie sie nur von Ärzten und Heilpraktikern zu erwarten ist – sie ist also den Heilberufen als weiteres diagnostisches und therapeutisches Werkzeug anvertraut worden und findet sich heute schon in vielen Fachbereichen, z.B. in orthopädischen, gynäkologischen, hausärztlichen oder naturheilkundlichen Praxen, wieder.

Viele Gemeinsamkeiten

Dieser Umstand birgt natürlich viel Potenzial, um den „ewigen Kampf“ zwischen Arzt und Heilpraktiker ein weiteres Mal zu schüren. Er bietet aber auch die Chance, dass sich Heilpraktiker und Ärzte in einem gemeinsamen Feld, der Osteopathie, positiv annähern und kollegial voneinander lernen und profitieren.

So ist es für einen modernen und professionell arbeitenden Osteopathen, egal ob Arzt oder Heilpraktiker, unabdingbar, dass er auf radiologische Befunde seiner Patienten zugreift, sie analysiert und versteht, um auf dieser Basis und mithilfe anderer moderner diagnostischer Mittel seine Behandlung durchzuführen. Für ihn ist auch das Wissen um den korrekten Umgang mit Ultraschallgeräten zu diagnostischen Zwecken unentbehrlich, diese ermöglichen oft eine präzise Diagnose und eine schnelle Verlaufskontrolle am Patienten.

Die Osteopathie ist ein wundervolles Behandlungsverfahren, das erst im Zusammenspiel mit anderen (v.a. auch invasiven) Methoden sein volles Wirkungspotenzial entfaltet.

Verbindung verbessert den Erfolg

In den vielen Jahren, während denen ich die Osteopathie nun praktiziere und lehre, hatte ich das Glück, aus einer großen Zahl medizinischer Fachbereiche (Schul- und Komplementärmedizin) lernen zu dürfen. Regelmäßig stellte ich fest, dass Osteopathie immer dann am wirksamsten ist, wenn sie mit anderen medizinischen Disziplinen vergesellschaftet werden kann. Als besonders potent erwiesen sich die Einflüsse aus Orthopädie, Sportmedizin, Traumatologie, Schmerztherapie und Naturheilkunde.

Dies festigte im Laufe der Zeit meine Sicht auf die Osteopathie und den Berufsstand dahingehend, dass ein Osteopath besonders erfolgreich arbeitet, wenn er sich in seinen Diagnose- und Behandlungsansätzen nicht limitieren lässt und offen gegenüber anderen Methoden der Schul- und Alternativmedizin ist.

So ist ein Osteopath z.B. häufig mit chronischen Schmerzpatienten konfrontiert, die eine lange, leidvolle Krankengeschichte haben. Die Osteopathie bietet diesen Patienten ein hervorragend wirksames Spektrum an manuellen Techniken, die Linderung verschaffen. Ideal ist es meiner Erfahrung nach, wenn über diesen manuellen Ansatz hinaus auch schmerztherapeutisches Wissen zum Einsatz kommt. Oftmals spielen Medikamente eine wichtige Rolle, sowohl naturheilkundliche bzw. homöopathische wie auch klassisch-schulmedizinische Präparate, einzeln oder in Kombination. Zudem ist es nicht nur der Wirkstoff selbst, sondern auch die Darreichungsform, die das Behandlungsergebnis optimieren kann. Ein Osteopath sollte neben seinen manuellen Fähigkeiten auch in pharmakologischen Grundlagen bewandert sein und über Injektionen in verschiedene Gewebeschichten oder das Legen von Infusionen zur Verabreichung der Präparate Bescheid wissen.

Auch eine grundlegende orthopädisch-traumatologische Ausbildung ist meiner Erfahrung nach zwingend notwendig, da die meisten Osteopathen doch in der Orthopädie und Sportmedizin angesiedelt sind. Eine fundierte Ausbildung auf diesem Sektor garantiert dem Osteopathen ein ideales Dokumentationswerkzeug zur Diagnose und Verlaufskontrolle. Weiterhin kann er damit auch akute Schmerzpatienten moderat und nach neuesten Standards versorgen, adäquate Differenzialdiagnostik betreiben und Notfälle schnell und sicher erkennen, um sie angemessen zu überweisen.

Das schlichte „Heilen mit den Händen“, das den Osteopathen oftmals anhaftet, ist meiner Meinung nach nicht ausreichend, um optimale Behandlungsergebnisse zu garantieren.

Deshalb habe ich meine Arbeit und Lehre in den letzten Jahren stetig erweitert und die rein osteopathischen Inhalte mit schulmedizinischen und komplementärmedizinischen Elementen ergänzt. Mir ist bewusst, dass dies nicht immer mit konservativen osteopathischen Ansichten zu vereinbaren ist, jedoch ist auch die Osteopathie, genauso wie die restliche Medizin, einem stetigen Wandel unterworfen. Demgemäß hat sie per se schon einen guten Ansatz, nämlich: „Bewegung bedeutet Leben“. Und dies gilt auch für die geistige Mobilität eines Mediziners. Eine zu starre Sicht auf die Dinge führt zu Stillstand und Misserfolgen am Patienten.

Interdisziplinarität ist wertvoll

Meine Einstellung hatte den Effekt, dass ich über die Zeit zunehmend mehr Kontakt zu Ärzten und Heilpraktikern, aber auch zu anderen Therapeuten knüpfte. Und dass heute eine Vielzahl von Patienten den Weg in meine Praxis findet aufgrund von Überweisungen durch Ärzte und Heilpraktiker. Diese haben oftmals großartige Erfolge an ihren Patienten gesehen, die aus nachvollziehbaren und anerkannten, reproduzierbaren Behandlungsansätzen resultieren. Diese Kolleginnen und Kollegen haben eine praktikable und ganzheitliche, also umfassende und unlimitierte Osteopathie zu schätzen gelernt.

Osteopathie ohne Grenzen

In der Ausbildung sollte es Ziel sein, Osteopathen eine Vielzahl weiterer „Werkzeuge“ der Medizin nahe zu bringen, damit sie ihre hervorragende manuelle Arbeit und ihr großartiges anatomisches Wissen optimieren können. Hierfür nützlich, wenn nicht gar notwendig, ist die Entwicklung einer offenen und interessierten Arbeitseinstellung. Dass man sich auch für Dinge begeistern lässt, denen man bis dato skeptisch gegenübergestanden hat. Es gibt viele medizinische Ansätze, die in Ergänzung zur Osteopathie lohnend für die Patienten sind.

Mir ist es nicht zuletzt ein tiefes Bedürfnis, darauf hinzuarbeiten, und zwar sowohl in der Praxis als auch in der Lehre, dass die ewigen Differenzen zwischen Schul- und Komplementärmedizin, zwischen Ärzten und Heilpraktikern besänftigt werden. Dass im Rahmen der Osteopathie ein berufsübergreifendes Miteinander, eine gemeinsame Basis geschaffen wird, auf der alle aufbauen können. Osteopathie sollte die Disziplinen nicht spalten, sondern vereinen.

David SchlegelDavid Schlegel
Osteopath, Heilpraktiker, Physiotherapeut, Dozent an den Paracelsus Schulen
Praxis.D.Schlegel@googlemail.com

Foto: © Stockwerk-Fotodesign / fotolia.com

zurück zur Übersicht dieser Ausgabe
Paracelsus SchulenWir beraten Sie gerne
Hier geht's zur Paracelsus Schule Ihrer Wahl.
Menü