Übersicht dieser Ausgabe    Alle Paracelsus Magazine

aus dem Paracelsus Magazin: Ausgabe 5/2019

Die Poesie der Abhyanga-Massage

Cover

Berührung für alle Sinne

Ein sanftes Berühren dessen, was ist – in all deinem Sein. Mit kostbaren Ölen folgen wir in Ruhe nach und nach der Spur deiner vielen „V“: Wir stillen dein Verlangen, lösen deine Verspannungen, die geboren sein können aus Verachtung und Verlust, schaffen Raum für Vergebung und Vertrauen wie auch für die Versöhnung mit deinem Körper. Die ayurvedische Abhyanga-Massage ist sinnliche Versuchung und wohltuende Verschönerung, aber zugleich ist sie noch viel mehr als das. Ganz verspielt entfaltet sie ihr heilsames Potenzial und ermöglicht es dir, dich zu öffnen und loszulassen. Eine Reise zu dir selbst.

Hingabe voller Vertrauen

Abhyanga. Ein wissendes Spiel der Hände auf deinem Körper. Klassischerweise als Synchron-Massage gegeben, immer von Mann zu Mann oder von Frau zu Frau.

In einem geschützten Raum, den der oder die Massierende schafft, womöglich auch gemeinsam mit einem anderen Massierenden, darfst du dich auf dieses zunächst vielleicht ungewohnte Feld der Berührung einlassen. Auf zarte Weise intim, aber jenseits jeglicher sexuellen Konnotation. Du darfst sicher sein! Du darfst durch die Massage zu dir selbst finden.

Was wirkt in dir?

Vor der Anwendung hörst du meist, wie das Dhanvantari-Gebet gesprochen wird, das den Gebenden auf dich und die Massage einstimmt. Anschließend, noch bevor die Berührung erfolgt, erspüren seine Hände dein energetisches Feld: Je nach Lehre und gelernter Technik geschieht dies in Bauchlage an den Hand- und Fußchakren oder im Bereich von Steißbein und Herz. Und schon können beide – Gebender und Empfangender – der Gestalt deiner Energien folgen, jeder auf seine eigene Weise. Wichtige Fragen können sein: Sind die Energien im Fluss oder gestaut? Fühlt es sich warm oder kalt an? Kribbelt oder pulsiert es irgendwo in deinem Körper etc.?

Im Ayurveda arbeiten wir mit Gegensätzen und erschließen über die verschiedenen Prinzipien einen Teil deines aktuellen Lebensmoments. Wir erforschen Vata, Pitta und Kapha. Und formen ein Bild. Dieses ist nicht nur ausschlaggebend für die Auswahl der für dich passenden Öle, ob erhitzend oder kühlend. Das Bild spiegelt uns v.a. das, was dir momentan zuträglich und dienlich ist und dich zu deinem Selbst zurückbringt. Sind für dich aktuell beruhigende, erwärmende, durchdringende, belebende oder ausleitende Impulse gefragt? Das alles können wir über die Entdeckung deiner momentanen Individualität herausfinden und in der Folge ganz spezifisch in der Massage umsetzen. So kann es sein, dass die Massage unterschiedlich ausgeführt wird, je nachdem, welches Prinzip bei dir vorherrscht bzw. was aus der Balance geraten ist.

Nicht nur Wellness-Anwendung

In Deutschland zwar leider fast ausschließlich mit dem Thema „Wellness“ verknüpft, ist Abhyanga viel mehr als ein schnell dahin geworfenes „Ich lass mich mal verwöhnen“, reicht das System doch weit über die Grenzen des hierzulande bekannten Bildes hinaus. Du kannst es sowohl zu präventiven Zwecken nutzen wie auch gezielt zur Therapie deiner Beschwerden in Anspruch nehmen, z.B. bei Folgen von Stress oder Problemen mit deinen Atemwegen oder Gelenken. Im Kontext medizinischer Anwendungen verwendet der Gebende neben spezifisch wirksamen Ölen auch feine Pulver und wertvolle Kräuteressenzen oder Bolis (mit Kräutern gefüllte Säckchen, die wie Stempel eingesetzt werden). Öle und Kräuter werden nach deiner individuellen Situation ausgewählt und entfalten ihre Wirkung zusammen, entweder im Rahmen von Einzelanwendungen, wie wir es im westlichen Kulturkreis gewöhnt sind, oder als Teilaspekt einer Panca-Karma-Kur, die als zentraler Teil der Ayurveda-Medizin der grundlegenden Reinigung und Stärkung von Körper und Geist auf allen Ebenen dienen soll.

Abhyanga dient also nicht nur der Entspannung und Regeneration, auch der Gebende schenkt Anregung, Zentrierung, Ausleitung, Verjüngung – je nachdem, welche Kräfte bei dir wirken sollen, um wieder bei dir selbst anzukommen.

Die Sprache der Hände

„Meine Hand ist Gott. Grenzenlos glückselig ist meine Hand. Diese Hand bewahrt alle Geheimnisse, die ganz machen mit ihrer sanften Berührung.“ Schon diese Worte aus dem Rigveda, der zu den wichtigsten Schriften des Hinduismus gehört und als ältestes Buch der Welt gilt, weisen auf den intensiven Effekt der Abhyanga-Behandlungen hin. (Karin Bachmaier, Ayurveda Journal Nr. 36)

Die Hand des Gebenden schätzt anhand des Bildes, das du im Jetzt spiegelst, die Dienlichkeit und den Zweck der Massage ab. Er liest in deinem Körper und bestimmt, was du brauchst und wie er, darauf abgestimmt, die Massage durchführen soll – ob sanft oder kraftvoll. Seine „liebenden“ Hände fließen klassischerweise mit unterschiedlichem Strich über deinen Körper: „Anuloma“ geschieht mit der Haarrichtung, die Wirkung eher beruhigend und ausgleichend in ihrer Mannigfaltigkeit. Der Effekt von „Pratiloma“, die Hände gegen die Haarrichtung bewegt, ist anregend und belebend.

Die liebevolle Ölung (Snehana) hüllt dich ein, schenkt dir Geborgenheit und führt dich zurück in dein Inneres. Möglicherweise ist dir dein Kern schon längere Zeit entrückt. In deinem täglichen Tun hast du dich aus Versehen entfernt und das achtsame Lauschen in deinen Körper hinein vernachlässigt. Du kannst dich selbst wiederfinden mithilfe der sich hingebenden Hände des Massierenden. Sie legen sich auf deinen Körper wie Blätter, die im Herbst zu Boden fallen und ihn sanft berühren. Sie umschließen dich wie warmes Wasser, das dich trägt. Sie übersetzen die Sprache deiner aufrichtigen Liebe zu dir selbst, auf dass dein Körper und Geist sie wieder verstehen können.

Vom Kleinen zum Großen

Abhyanga kann als Samvahana (leichte, sanfte Massage) oder Mardana (Druckmassage) durchgeführt werden. Meist geschieht die Massage vom sanften zum festeren Druck.

Während du auf dem Bauch liegst, arbeiten sich die Hände des Gebenden zunächst vor über die Weite deines Rückens, zwischen die Wirbelkörper deines Rückgrats und unter die Flügel deiner Schulterblätter. Die Knochenstruktur umspielend, die Muskulatur streichend, kreisend, haltend. Übergehend in die Weichheit, umfahren die Hände schließlich die Höhen des Gesäßes, streichen die Beine und Schenkel hinab, um schließlich die Füße zu erreichen – weitend und weisend.

In der Zweistellungs-Abhyanga drehst du dich anschließend um und liegst fortan auf dem Rücken. Deine Nase dankt es dir. Das kostbare Öl (Snehan) fließt warm in deinen Bauchnabel, den der Gebende in größer werdenden Kreisen sanft umfährt. Tief sitzt dort so manch emotionales Thema vergraben, was dich womöglich in deinem Sein erschüttert und Tränen in dir aufsteigen lassen kann. Traue dich, auch diese Seite von dir zu zeigen – der Massierende sieht dich sowieso.

Seine Hände fließen weiter über deine Brust, aussparend und umspielend bei Frauen, hin zu deinen Armen und deinen Händen, die der Gebende auf eine spezielle Art aufdehnt. Möglicherweise erlebst du Empfindungen, die du so noch nicht gefühlt hast.

Zwischendurch wird deinem Körper immer wieder durch Streichungen die Möglichkeit gegeben, in seine Mitte zu kommen, sich zu zentrieren und zu sammeln. Schließlich ruhst du wieder viel mehr in dir selbst und hast womöglich nicht nur eine tiefe Entspannung, sondern – bei entsprechender Qualifikation des Massierenden – auch einen positiven Einfluss auf deine Beschwerden erfahren und mithilfe der liebevollen Berührung einen Weg zurück zu deinem wahren Selbst entdeckt.

Dies solltest du beachten

Wenn du erkältet bist oder Fieber hast, solltest du Abhyanga vermeiden. Ebenso direkt nach dem Essen oder wenn du sehr erschöpft bist. Wichtig für den Massierenden, v.a. wenn die Anwendung zu medizinischen Zwecken gegeben wird, ist zu wissen, ob du kürzlich operiert wurdest, schwanger bist oder deine Menstruation hast. Auf jeden Fall solltest du den Gebenden auf Allergien hinweisen.

Eine besondere Bewegung

Abhyanga beschreibt etwas Einzigartiges. Nicht nur eine Bewegung (Ang), die äußerlich oder um etwas herum (Abhi) durchgeführt wird, so die Zusammensetzung und Wortbedeutung. Diese Form der Massage bringt vielmehr zusammen, was zusammengehört und wieder eins werden will: Körper, Geist und Seele. Die Massage führt ins Gleichgewicht und zurück zum Ursprung des Selbst. Und so kommt in Fluss, was erstarrt war. Und so genießt, wer verlernt hat zu genießen. Im Loslassen liegt schließlich des Empfangenden Meisterwerk

Kati Tripura VoßKati Tripura Voß
Yogalehrerin (BYV), Heilpraktikerin i.A., Expertin für Ayurveda, eigene mobile Praxis, Dozentin an den Paracelsus Schulen
yoga-ayurveda-mediationcoaching@web.de

zurück zur Übersicht dieser Ausgabe
Paracelsus SchulenWir beraten Sie gerne
Hier geht's zur Paracelsus Schule Ihrer Wahl.
Menü