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aus dem Paracelsus Magazin: Ausgabe 5/2019

Telemedizin in der Heilpraktikerpraxis

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Aktuelle Rechtslage

Für Ärzte ist die Entwicklung einer Lockerung des Fernbehandlungsverbots eingeleitet worden. Motor ist dabei die Gesundheitspolitik mit dem forsch vorneweg marschierenden Bundegesundheitsminister Jens Spahn. Man möchte dazu beitragen, Probleme in der Gesetzlichen Krankenversicherung zu entspannen, wozu überfüllte Wartezimmer und teilweise lange Wartezeiten auf einen Behandlungstermin gehören. Motivation für eine Änderung des ärztlichen Berufsrechts ist aber auch wieder einmal das pekuniäre Interesse: „Bundesweit drängen inzwischen Unternehmen und StartUps unterschiedlicher Größe auf den Markt, um im Gesundheitswesen neue, i.d.R. onlinebasierte Dienstleistungen, die sich direkt an die Patienten richten, anzubieten. Sie wittern lukrative Geschäftsmodelle.“ (Kassenärztliche Bundesvereinigung, Positionspapier zu den Auswirkungen neuer Möglichkeiten der Fernbehandlung in der medizinischen Versorgung, 06.02.2019, Ausgangslage) Die Mehrheit der Ärzteschaft mit ihren Funktionären möchte da nicht zurückstehen und Vorteile für sich sichern. Beschäftigt man sich näher mit der Thematik „Fernbehandlung“, wird eine Reihe von teilweise erheblichen juristischen Problemen erkennbar, die zumindest partiell vom „Jubelchor“ im Gesundheitsministerium und in den Ärztekammern ausgeblendet werden. Anlass genug, um sich genau mit der Rechtslage für Heilpraktiker zu beschäftigen.

Definition „Fernbehandlung“

Das Problem beginnt schon bei der Begrifflichkeit. Fernbehandlung war zunächst die Diagnostik oder Therapie eines Patienten, den der Therapeut unmittelbar zuvor oder im Zusammenhang nicht persönlich behandelt hat. Eine Unterscheidung zwischen den Gesundheitsberufen Arzt und Heilpraktiker (mit oder ohne Gebietsbeschränkung) erfolgt nicht. Eine im Zusammenhang mit der persönlichen Behandlung (Untersuchung) stehende fortgesetzte Therapie per Telefon, E-Mail etc. wurde meistens als zulässige Fernbehandlung bezeichnet. Gegenwärtig vollzieht sich jedoch ein Wandel in der Wortdefinition. Als „Fernbehandlung“ wird lediglich die ausschließliche Behandlung oder Beratung über Kommunikationsmedien verstanden, wenn sie ohne vorherigen physischen Erstkontakt zwischen Therapeut und Patient stattfindet. Das, was zuvor als zulässige Fernbehandlung bezeichnet wurde, wird begrifflich fallen gelassen.

Definition „Telemedizin“

Der Begriff „telemedizinische Anwendungen“ wird verstanden als Oberbegriff für eine Vielzahl unterschiedlichster Dienstleistungen unter der Nutzung elektronischer Kommunikationsmedien; im Rahmen solcher Angebote kommt es zu einer Behandlungstätigkeit ohne unmittelbaren „face to face“-Kontakt. (Stellpflug, Arzthaftung bei der Verwendung telemedizinischer Anwendungen, GesR 2019, 76)

Diese sehr enge Definition knüpft an die neue Begrifflichkeit der Fernbehandlung an. Danach ist es keine „telemedizinische Anwendung“, wenn der Patient nach einem physischen Zusammentreffen weiter telefonisch oder per Videokonferenz etc. beraten wird. Die Behandlung wird so als eine Einheit gesehen, beginnend mit der Vorstellung in der Praxis und der sich anschließenden Weiterbehandlung z.B. per Telefon oder Skype.

Liberalisierung des ärztlichen Berufsrechts

Durch Beschluss des Ärztetages im Mai 2018 wurde das berufsrechtliche Verbot ausschließlicher Fernbehandlung gelockert. „Mit der Novellierung reagiert die verfasste Ärzteschaft auf den durch die Digitalisierung bedingten Wandel der Gesundheitsversorgung. Immer mehr Patienten suchen medizinische Beratung via Internet.“ (Katzenmeier, Haftungsrechtliche Grenzen ärztlicher Fernbehandlung, NJW 2019, 1769) Neu gefasst wurde § 7 Abs. 4 der Musterberufsordnung der Bundesärztekammer (MBO-Ä). Sie wird erst dann zu verbindlichem Berufsrecht der Ärzte, wenn die maßgebenden Berufsordnungen der Ärztekammern geändert sind. Dabei wird die MBO-Ä teilweise identisch übernommen, partiell aber auch abgeändert. Die Ärztekammer Brandenburg hat sich gegen die Zulässigkeit ausschließlicher Fernbehandlung ausgesprochen und ihre Berufsordnung nicht geändert; in Mecklenburg-Vorpommern steht eine endgültige Entscheidung noch aus, in Baden-Württemberg ist die ausschließliche Fernbehandlung nur in genehmigten Projekten gestattet. So kommt es zu einer Zersplitterung des ärztlichen Berufsrechts. (Katzenmeier, a.a.O., 1769)

§ 7 Abs. 4 Satz 3 MBO-Ä in der neuen Fassung bestimmt: „Eine ausschließliche Beratung oder Behandlung über Kommunikationsmedien ist im Einzelfall erlaubt, wenn dies ärztlich vertretbar ist und die erforderliche ärztliche Sorgfalt insbesondere durch die Art und Weise der Befunderhebung, Beratung, Behandlung sowie Dokumentation gewahrt wird und die Patientin oder der Patient auch über die Besonderheiten der ausschließlichen Beratung und Behandlung über Kommunikationsmedien aufgeklärt wird.“

Analyse von § 7 Abs. 4 Satz 3 MBO-Ä

Wenn man die Kriterien im neuen Text näher untersucht, nach denen eine Fernbehandlung zulässig sein soll, kann man im Ergebnis fast immer von der Wahrnehmung dieser Möglichkeit abraten, da eine hohe juristische Komplikationsdichte in Form eines Behandlungsfehlers naheliegt. Die Analyse der Voraussetzungen:

  • im Einzelfall
  • ärztlich vertretbar
  • ärztliche Sorgfalt gewahrt
  • insbesondere durch die Art und Weise der Befunderhebung
  • insbesondere durch die Art und Weise der Beratung
  • insbesondere durch die Art und Weise der Behandlung
  • insbesondere durch die Art und Weise der Dokumentation
  • der Patient auch über die Besonderheiten der ausschließlichen Beratung und Behandlung über Kommunikationsmedien aufgeklärt wird.

Nach dieser Vorschrift hat der Arzt den „Schwarzen Peter“. Zwar können sich Heilpraktiker bei ihrer Entscheidung über eine Fernbehandlung daran orientieren, jedoch gilt für sie kein anderes Ergebnis.

Zur Erläuterung der Neufassung von § 7 Abs. 4 MBO-Ä hat die Bundesärztekammer am 22.03.2019 eine Entschließung herausgegeben: „Hinweise und Erläuterungen zu § 7 Abs. 4 MBO-Ä – Behandlung im persönlichen Kontakt und Fernbehandlung“ (www.daebl. de/FH97). Auch nach den umfangreichen Erklärungen wird deutlich, dass die Problematik beim behandelnden Arzt bleibt. Ein Beispiel: „Ob es im konkreten Einzelfall ärztlich vertretbar ist, die um Rat und Behandlung ersuchende(n) Patientin oder Patienten ausschließlich aus der Ferne über Kommunikationsmedien zu beraten oder zu behandeln, liegt in der Verantwortung der Ärztin oder des Arztes.“

Standard bei Fernbehandlung

Wird der anerkannte Stand der medizinischen Kenntnisse verfehlt, kann den Arzt eine Haftung wegen Behandlungsfehlers treffen, wobei die Rechtslage für Heilpraktiker identisch ist. Der Begriff des ärztlichen Behandlungsfehlers bezeichnet im umfassenden Sinne das nach dem Stand der Medizin unsachgemäße Verhalten des Arztes. Dieses kann sowohl in einem Tun als auch in einem Unterlassen liegen, in der Vornahme eines nicht indizierten wie auch in der Nichtvornahme eines gebotenen Eingriffs, in Fehlmaßnahmen und unrichtigen Dispositionen des Arztes bei der Anamnese, der Diagnose, der Prophylaxe, der Therapie und der Nachsorge. Erfasst werden nicht nur die klassischen Fehler bei der Behandlung selbst, sondern auch die Fehler im Behandlungsumfeld. (Katzenmeier, a.a.O., 1770)

Daran gemessen, existiert auch für Heilpraktiker noch kein neuer Fernbehandlungsstandard, sodass das Vorliegen eines Behandlungsfehlers ausschließlich individuell anhand der konkreten Behandlungssituation im Nachhinein (ex post) zu entscheiden ist.

Legitimation durch schriftliche Vereinbarung?

§ 630a Abs. 2 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) verpflichtet den Behandelnden auf die bestehenden, allgemein anerkannten fachlichen Standards, „soweit nicht etwas anderes vereinbart ist“. Es kann danach überlegt werden, ob mit einer schriftlichen Vereinbarung zwischen Heilpraktiker und Patient vor Beginn der Fernbehandlung ein reduzierter Behandlungsstandard mit Rücksicht auf deren Schwächen vereinbart werden kann.

An die Wirksamkeit einer solchen Vereinbarung stellt die Rechtsprechung jedoch hohe Anforderungen. Sie ist nach §§ 134, 138, 242 oder §§ 307, 309 Nr. 7a BGB schnell nichtig. Besondere Bedeutung bekommt § 309 Nr. 7a BGB zu. Danach kann die Vereinbarung eines abweichenden Behandlungsstandards nicht durch Allgemeine Geschäftsbedingungen (AGB) zum Vertragsinhalt gemacht werden. Eine AGB liegt aber bereits vor, wenn im Rechner ein Behandlungsvertrag gespeichert ist, der lediglich individualisiert wird.

Hausbesuchspflicht

Zumindest eine gewisse Parallele der Fernbehandlung besteht zur Hausbesuchspflicht im Rahmen des ärztlichen Bereitschaftsdienstes. Hierzu gibt es eine Fülle von Rechtsprechung, die im Zweifel den diensthabenden Arzt zum Hausbesuch verpflichtet: „Es gehört zu den Aufgaben des Arztes, sich von den Leiden des Patienten ein eigenes Bild zu machen, dabei die Angaben nicht ungeprüft zu übernehmen und wichtige Befunde selbst zu erheben. Dazu ist, wenn der Patient nicht selbst in die Sprechstunde kommen kann, ein Hausbesuch jedenfalls dann erforderlich, wenn es sich offensichtlich um eine schwere Erkrankung handelt. Aus alledem erfolgt die Besuchspflicht des behandelnden Arztes, der er sich nur dann entziehen darf, wenn schwerwiegende Gründe (Behandlung anderer Patienten, anderweitiger Verhinderung) ihn daran hindern, und er für anderweitige Hilfe sorgt.“ (BGH NJW 1979, 1248)

„Abgesehen von dem Wort ‚jedenfalls‘ bereitet schon die Abgrenzung zwischen schwerer und nicht so schwerer Erkrankung oftmals Schwierigkeiten, provoziert damit Rechtsunsicherheit. Besonders problematisch ist, dass der Arzt seine Entscheidung, ob eine Fernbehandlung vertretbar ist, einzig und allein auf telemedizinischer Grundlage trifft. Erweist sich diese Einschätzung später als falsch, dann liegt der Schluss auf ein fehlerhaftes ärztliches Handeln nahe.“ (Katzenmeier, a.a.O., 1772) Auch hier besteht rechtlich kein Unterschied zwischen Ärzten und Heilpraktikern.

Berufsrecht der Psychologischen Psychotherapeuten

Diese Berufsgruppe kann innerhalb der Versorgung von Krankenkassenmitgliedern die Videosprechstunde abrechnen. In den Berufsordnungen der Psychotherapeutenkammern ist allerdings das Fernbehandlungsverbot nach wie vor nicht gelockert. Dem Psychologischen Psychotherapeuten ist also bereits berufsrechtlich eine telemedizinische Behandlung ohne vorhergehende Patientenbesuche in der Praxis untersagt.

Rechtslage für Heilpraktiker ohne Gebietsbeschränkung

Noch offen ist, wie die Rechtsprechung der Zivilgerichte bis hin zum Bundesgerichtshof die Liberalisierung des Fernbehandlungsverbots im ärztlichen Berufsrecht legitimiert. Heilpraktiker ohne Gebietsbeschränkung als Parallelberuf zu dem des Arztes haben jedenfalls gegenwärtig ein gesteigertes Haftungsrisiko bei der Fernbehandlung ohne Patienten-Erstkontakt.

Nach den Umständen des Behandlungsfalles wäre auch eine Sorgfaltspflichtverletzung in Form einer groben Fahrlässigkeit denkbar. Dann könnte es sogar ein Problem mit der Deckung des Schadensersatzes/Schmerzensgeldes durch die Berufshaftpflichtversicherung geben. Die Versicherung könnte § 82 Abs. 3 Satz 2 Versicherungsvertragsgesetz (VVG) anwenden: „Im Fall einer grob fahrlässigen Verletzung ist der Versicherer berechtigt, seine Leistung in einem der Schwere des Verschuldens des Versicherungsnehmers entsprechenden Verhältnis zu kürzen; die Beweislast für das Nichtvorliegen einer groben Fahrlässigkeit trägt der Versicherungsnehmer.“

Rechtslage für Heilpraktiker für Psychotherapie

Die „sprechende Medizin“ ist aus juristischer Sicht bei der Fernbehandlung im Vorteil. So scheidet z.B. eine Sorgfaltspflichtverletzung wegen des Unterlassens einer körperlichen Untersuchung aus. Wie auch beim direkten Patientenkontakt könnte sich allerdings eine solche Pflichtverletzung daraus ergeben, dass dem Klienten die medizinisch notwendige begleitende körperliche Diagnostik zur Psychotherapie vom Heilpraktiker für Psychotherapie nicht angeraten wird. Die Problematik der Fernbehandlung wird auch hier deutlich: Der Heilpraktiker für Psychotherapie kann via Internet oder Telefon körperliche Eindrücke vom Patienten (wie Gerüche) nicht wahrnehmen. Dies gilt auch für die Hautfarbe als Hinweis auf z.B. eine Anämie; der Behandelnde trägt das Risiko einer unzureichenden technischen Übertragung. In einem Haftungsprozess würde die Frage zu klären sein, ob die beim Klienten zu Schaden führende, unterlassene Diagnostik nicht unterblieben wäre, jedenfalls der Heilpraktiker für Psychotherapie dringend auf deren Wahrnehmung hingewirkt hätte, wenn ein persönlicher Kontakt in der Praxis erfolgt wäre. Wird durch Sachverständigenbeweis diese Frage bejaht, liegt eine haftungsauslösende Sorgfaltspflichtverletzung vor. Nach allem kann also nicht davon ausgegangen werden, dass Heilpraktiker für Psychotherapie risikolos Fernbehandlungen durchführen könnten. Vorsicht ist also auch für diese Berufsgruppe geboten, wenngleich die juristische Komplikationsdichte bei Heilpraktikern ohne Gebietsbeschränkung deutlich größer ist.

Aufklärung des Patienten und Abbruch der Fernbehandlung

Besonderer Wert ist auf die Aufklärung des Patienten über die Nachteile der Fernbehandlung gegenüber der Diagnostik und Therapie in der Praxis zu legen. Das Risiko, dass sich eine fernmündliche oder sonstige Aufklärung mit elektronischen Kommunikationsmedien im Nachhinein als unzureichend erweist, trägt der Heilpraktiker. Und dabei erscheint in besonderer Schärfe ein weiteres Problem der Fernbehandlung. Nach § 630 e Abs. 2 Satz 1 Nr. 1. BGB muss die Aufklärung über Risiken der Behandlung mündlich vom Therapeuten erfolgen. Eine fernmündliche Aufklärung wird als ausreichend einzustufen sein. Die Fernbehandlung ausschließlich via Internet ist deshalb nur möglich, wenn zusätzlich eine telefonische Aufklärung erfolgt. Es bleibt danach das Problem des Heilpraktikers, im Ernstfall eine ordnungsgemäße Aufklärung nachzuweisen.

Besonderen Wert sollten Heilpraktiker darauf legen, eine begonnene Fernbehandlung sofort abzubrechen, wenn sich in deren Verlauf die persönliche Therapie in der Praxis als medizinisch notwendig erweisen könnte. Im Zweifel sollte die Fernbehandlung beendet werden. Ist das Stadium erreicht, in dem sich die Frage des Abbruchs stellt, ist eine besonders sorgfältige Dokumentation nach § 630 f BGB erforderlich.

Werbeverbot

Selbst wenn die haftungsrechtlichen Kriterien für eine Fernbehandlung ohne Patienten-Erstkontakt gelockert sind, besteht derzeit noch das Werbeverbot für Fernbehandlungen in § 9 Heilmittelwerbegesetz (HWG): „Unzulässig ist eine Werbung für die Erkennung oder Behandlung von Krankheiten, Leiden, Körperschäden oder krankhaften Beschwerden, die nicht auf eigener Wahrnehmung an dem zu behandelnden Mensch oder Tier beruht (Fernbehandlung).“

Solange diese Bestimmung nicht geändert ist, haben Heilpraktiker, die auf ihrer Webseite, in Anzeigen oder Flyern für Fernbehandlungen werben, ein hohes Abmahnrisiko. Außerdem könnte behördlich gegen den Heilpraktiker vorgegangen werden, denn die Missachtung des Werbeverbots ist nach § 15 Abs. 1 Nr. 6 HWG auch bei fahrlässiger Begehungsweise eine Ordnungswidrigkeit. Diese kann mit einer Geldbuße von bis zu 50 000 Euro geahndet werden (§ 15 Abs. 3 HWG).

Dr. jur. Frank A. Stebner
Fachanwalt für Medizinrecht

www.drstebner.de

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