aus dem Paracelsus Magazin: Ausgabe 1/2022
Homöopathie in der Naturheilpraxis
Die Homöopathie gehört zu den wohl bekanntesten, aber auch den umstrittensten Behandlungsmethoden. Die vielen Heilpraktiker und Ärzte, die Homöopathie mit großem Erfolg anwenden, zeichnen ein positives Bild. So suchen wir doch immer nach einer Behandlungsmethode, die sanft und gleichzeitig wirksam ist. Eine Medizin, die bei allen Patienten eingesetzt werden kann, vom Säugling bis zum Senior. Mittel, die durchschlagend wirken und dabei das System des Patienten nicht überfordern. Genau diese Möglichkeiten bieten uns homöopathische Arzneien, seien es Einzel- oder Komplexmittel. Hier wird jeder homöopathisch arbeitende Therapeut herausfinden, was er lieber einsetzt.
Homöopathie als Ergänzung der etablierten Medizin
Samuel Hahnemann gilt als Begründer der Homöopathie und scharfzüngiger Kritiker der zeitgenössischen Medizin des 18. Jahrhunderts. Diese war u.a. auf Methoden wie Aderlass, Brechkuren und stark wirksame Abführmittel spezialisiert. So lautet eines seiner Zitate: „Es scheint das unselige Hauptgeschäft der alten Medizin zu sein, die Mehrzahl der Krankheiten, die langwierigen, durch fortwährendes Schwächen und Quälen des ohnehin schon an seiner Krankheitsplage leidenden, schwachen Kranken und durch Hinzufügung neuer, zerstörender Arzneikrankheiten, wo nicht tödlich, doch wenigstens unheilbar zu machen – und, wenn man dies verderbliche Verfahren einmal am Griffe hat, und gegen die Mahnungen des Gewissens gehörig unempfindlich geworden, ist dies ein sehr leichtes Geschäft!“
Hahnemanns Ziel war es daher, zur bisher verbreiteten Medizin mit der Homöopathie eine Behandlung zu etablieren, die individualisiert und mild war. Es sollte ohne Blutverlust und Abführmittel Heilung erreicht werden. Den Begriff „homöopathisch“ gebrauchte Hahnemann 1807 erstmals nachweislich, der Begriff „Homöopathie“ taucht 1810 in seinem Organon auf.
Veränderung der Sichtweise bei der Ergründung von Krankheiten
Bisher versuchten die Ärzte dieser Zeit, die unsichtbaren, inneren Veränderungen des Körpers bei den Krankheiten und die Ursache zu „ergrübeln“. Denn sie waren der Meinung, ohne diese Kenntnis nicht heilen zu können. Gegen die Ergründung der Ursachen von Krankheiten setzte Hahnemann seine Erfahrungsheilkunde. Laut seinen Aussagen soll der Arzt eine Krankheit über ihre Symptome beschreiben: „Mit diesem sorgfältigen Eifer wird der Arzt das reine Bild der Krankheit aufzeichnen. Er wird die Krankheit selbst vor sich haben in Zeichen, ohne welche sich keine verborgene Eigenschaft der Dinge, und ebenso wenig eine Krankheit dem bloß nach Wahrnehmungen seiner Sinne erkennenden, irdischen Menschen ausspricht. Ist die Krankheit gefunden, so müssen wir das Heilmittel suchen.“
„Bloß jene Eigenschaft der Arzneien, eine Reihe spezifischer Krankheitssymptomen im gesunden Körper zu erzeugen, ist es, wodurch sie Krankheiten heilen, das ist, den Krankheitsreiz durch einen angemessenen Gegenreiz aufheben und verlöschen können.“ Dieses weitere Zitat zur therapeutischen Herangehensweise bildet den Grundgedanken seines wohl bekanntesten Ausspruchs ab: „Ähnliches möge durch Ähnliches geheilt werden.“ (similia similibus curentur)
Darreichungsformen homöopathischer Mittel
Je nach Beschwerdebild eignen sich homöopathische Mittel in verschiedenen Darreichungsformen. Dazu zählen:
- Urtinkturen
- Salben
- Globuli
- Dilutionen
- Tabletten (Achtung: Laktose)
- Ampullen für Injektionen
- Einzel- oder Komplexmittel
Globuli (Mehrzahl von Globulus, lat.: Kugel) sind die bekannteste Darreichungsform der Homöopathie. Die kleinen, weißen Streukügelchen bestehen aus Saccharose und werden mit dem homöopathisch potenzierten Wirkstoff oder Wirkkomplex imprägniert (benetzt). Sie sind auch für laktoseintolerante Patienten sehr gut verträglich.
Homöopathische Potenzen Die charakteristische Aufbereitung im Rahmen der Potenzierung, also dem schrittweisen Verreiben, Verdünnen und anschließenden Verschütteln per Hand, ist für homöopathische Arzneimittel von zentraler Bedeutung. Sie unterscheidet ein potenziertes Mittel von einer reinen Verdünnung. Aus dem stufenweisen Verdünnen und Verschütteln ergeben sich verschiedene Potenzen. Gängige sind D und C, wobei das D für Dezimal steht (Verdünnungsverhältnis 1:10). C steht für Centesimal, das Verdünnungsverhältnis ist 1:100.
Generell gilt: Je niedriger die Potenz gewählt wird, desto mehr wirkt das Mittel auf der körperlichen Ebene. Je höher sie ist, umso mehr geht die Wirkung auch in den geistigseelischen Bereich hinein. Eine allgemein gültige Regel, wann welche Potenz in welchem Abstand gegeben wird, gibt es nicht. Es wird immer vom Behandler optimal auf den jeweiligen Patienten abgestimmt.
Praxistipps
Homöopathische Behandlungen in der Praxis bedürfen sehr viel Einfühlungsvermögen in den Patienten und Mitarbeit seinerseits. Meiner Erfahrung nach ist das Wichtigste, dem Patienten klarzumachen, dass jedes seiner Symptome, jedes Gefühl, jedes Detail, sei es in seinen Augen noch so klein oder unwichtig, immer zählt.
Auch die Information, dass homöopathische Mittel durch folgende Stoffe in der Wirkung geschwächt oder inaktiviert werden können, sollte an die Patienten weitergegeben werden:
- Campher (z.B. in Erkältungsmitteln)
- starke ätherische Öle, z.B. Japanisches Heilpflanzenöl oder Menthol (Achtung: Zahnpasta)
- Narkosen und örtliche Betäubungen
- Zahnarztbehandlungen
- elektronische Geräte (z.B. Smartphones, Mikrowellen, Funkwecker, Computer)
- intensive Sonnenbestrahlung
- immunsuppressive Medikamente
Die Wahl der richtigen Mittel
Allein die ausführliche Erstanamnese öffnet vielen Patienten schon die Augen für ihr eigentliches Problem. Und das richtige Mittel zur richtigen Zeit bringt dann den nötigen Anstoß für die Heilung.
In meiner Praxis nutze ich sowohl Einzel- als auch Komplexmittel. Bei einer stark körperbetonten Problematik setze ich oft unterstützend die fertigen Komplexmittel bekannter Arzneimittelhersteller ein, da diese gut durchdacht und erprobt sind. Geht es bei Patienten eher um tiefgreifende Änderungen in der Lebensführung oder um seelische Unterstützung, repertorisiere ich das passende Einzelmittel für diesen speziellen Fall. Damit können gezieltere Ergebnisse erreicht werden.
Ich schließe die körperliche, fassbare Ebene trotzdem immer mit ein. Mit Nahrungsergänzungsmitteln, Ordnungstherapie oder Übungen für zuhause hat der Patient das Gefühl, „etwas Gutes für sich zu tun“, sodass er seine Heilung tatkräftig mit unterstützt.
Indikationen und Kontraindikationen
Homöopathische Mittel können für alle möglichen Beschwerden eingesetzt werden. Kontraindikationen liegen eher in der Sorgfaltspflicht und dem Verantwortungsbewusstsein des Therapeuten. Folgende Dinge sollten daher berücksichtigt werden:
Kann bei einer schwerwiegenden Erkrankung eine Erstverschlimmerung überhaupt toleriert werden (z.B. ein neuerlicher Schub bei MS)?
Ist das Krankheitsgeschehen schon so weit fortgeschritten, dass eine schulmedizinische Behandlung zwingend erfolgen muss? Hier kann Homöopathie noch eingesetzt werden, aber bitte nur begleitend.
Vorsicht ist bei Schwangeren geboten. Hier sollten nur gut ausgebildete Therapeuten mit Ausrichtung auf Frauenheilkunde eine Therapie beginnen, um Komplikationen zu vermeiden.
Sonderfall Kinder und ältere Patienten
Kinder reagieren meist schnell und direkt auf homöopathische Behandlungen, da ihr System noch sehr reaktionsfreudig ist. Daher gilt auch hier, das Kind bei starker Verschlechterung unbedingt schulmedizinisch behandeln zu lassen. Bei älteren Patienten ist die Situation oft umgekehrt. Das System ist nicht mehr so reaktionsfreudig, oft werden Immunsuppressiva eingenommen. Das macht eine Eigenregulation etwas schwieriger. Es könnte sein, dass Fortschritte langsamer eintreten, aber lassen Sie sich davon nicht entmutigen.
Persönliche Erfahrungen
Ich kombiniere homöopathische Mittel meist mit anderen Behandlungsmethoden, z.B. mit Ohrakupunktur. Körper, Geist und Seele gehören für mich zusammen, daher werden auch in der Therapie alle Ebenen miteinbezogen. Im Folgenden stelle ich einen Fall aus meiner Praxis vor, bei dem Homöopathie die ausschlaggebende Behandlungsoption war.
Fallstudie: Krämpfe und Sinnsuche
Der 33-jährige Patient ernährt sich sehr bewusst vegan, leidet allerdings unter generalisierten Krämpfen der glatten Muskulatur, vom Schlund bis zum Darm und der Blase, sowie unter starkem Sodbrennen. Er kann nur unter Schmerzen schlucken, teilweise sind nur flüssige Speisen möglich. Dazu kommt eine starke Pollenallergie. Laut seinen Aussagen verschlimmern sich die Beschwerden in Stresssituationen. Die Einnahme von Tabletten ist nicht möglich, da sie nicht geschluckt werden können.
Therapiegestaltung
Zuerst verschreibe ich dem Patienten Verdauungsenzyme, die er in das Essen einrühren kann, sowie ein Bittermittel, um die Digestion anzukurbeln. Um mit Stress besser fertig zu werden und zur Ruhe zu kommen, verordne ich ein flüssiges Passionsblumen-Präparat.
Diese Behandlung schlägt gut an, sodass jetzt auch die psychologische Problematik besser sichtbar werden kann. Im Arbeitskontext lebt er in einem dauernden Gefühl von Ungewissheit, Wandel und Hoffnung. Innere Anspannung begleitet ihn jeden Tag, er nimmt sich alles sehr zu Herzen. Man kann bei ihm von einer Suche nach dem Sinn seiner Tätigkeit sprechen. Ich verschreibe Magnesium phosphoricum, das im Arzneimittelbild die Krampfthematik, den Stress im Zusammenhang mit der Arbeit, die Angespanntheit und die gefühlte Sinnlosigkeit beinhaltet. In der Folge bessert sich die Darmsymptomatik.
Da sein Stuhl-pH-Wert weit in den basischen Bereich verschoben ist, bekommt der Patient ein passendes Probiotikum mit Lactobazillen.
Plötzlicher Einbruch
Bei der Folgeanamnese ist das Gefühl des „Gestresst seins“ noch da. Allgemein gibt es seiner Aussage nach noch zu viele „Baustellen“. Auch kommt der Patient nach wie vor nicht zur Ruhe, obwohl er danach verlangt. Ich verschreibe Nux vomica, ein typisches Mittel für Stress bei der Arbeit und gefühlten (Termin-)Druck. Die Arznei schlägt zusätzlich gegen Allergien an und wirkt bei Krämpfen und Magenstörungen. Sie hilft dem Patienten, weniger leistungsorientiert zu denken, und klärt den weiteren Behandlungsweg.
Als sich der Patient im Urlaub befindet, kommt es zu einer plötzlichen Verschlechterung aller Symptome durch einen unbekannten Auslöser: Der Hals ist so zugeschwollen oder verkrampft, dass der Patient in die Notaufnahme muss. Das Sodbrennen verschlechtert sich wieder. Auf ärztliches Anraten hin kommt es zur Dauereinnahme von Pantoprazol über 4 Wochen, was auch hilft. Aufgrund der Tablettenproblematik ist die langfristige Einnahme schwierig, er will das Medikament auch wegen der Nebenwirkungen nicht auf Dauer nehmen.
Die Wende
Ich rate nochmals zur Einnahme von Magnesium phosphoricum, und schließ- lich „platzt“ der Knoten: Der Patient erinnert sich an eine frühere Ausbildung, die ihm viel Freude bereitet hatte, und erwägt, sich in diesem Bereich fortan ein zweites Standbein aufzubauen. Dies wird sehr schön an seiner Begeisterung dafür sichtbar – er sieht endlich wieder einen Sinn und tritt schon bald an seinem bisherigen Arbeitsplatz kürzer. Er verspürt Tatendrang und Antrieb. Auch die körperliche Symptomatik wird auf allen Ebenen besser.
All das spielt sich in einem Zeitraum von 6 Monaten ab. Natürlich hätte man als Behandler gerne schnellere, durchschlagendere Erfolge gehabt, aber die Homöopathie ist eine sanfte Methode, und gerade dann, wenn seelische Anteile mitbearbeitet werden wollen, ist eine „Hau-Ruck-Aktion“ nicht angebracht.
Fazit
Mit der Homöopathie haben wir ein Werkzeug an der Hand, das für alle Beschwerden und Patientengruppen eingesetzt werden kann. Das Spektrum reicht von rein körperlichen Beschwerden bis hin zu seelisch-psychischen Leiden und von sofortiger Hilfe bis zu Therapien über einige Monate und mehrere Mittel. Wenn Sie jedoch die ersten Erfolge damit erzielt haben, werden Sie die Homöopathie nicht mehr in der Praxis missen wollen.
Daniela Czyschke
Heilpraktikerin mit Schwerpunkten Immunsystem, Darmgesundheit und Schmerztherapie, Dozentin an den Paracelsus Schulen
info@nhp-czyschke.de
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