Kritik der strahlenden Vernunft
Das flächendeckend relevante Thema Mobilfunk geht
insbesondere auch Menschen an, die im Gesundheitssektor tätig sind. Sie könnten und sollten mit dazu beitragen, dass
hier mehr Aufklärung stattfindet statt Reklame, mehr Einsicht statt Verdrängung und nicht zuletzt mehr Hilfe statt
Wegschauen. Der Theologieprofessor Werner Thiede vertritt als Systematischer Theologe (Universität Erlangen-Nürnberg)
das Fach Ethik; von daher hat er sich gründlich eingearbeitet und eine bemerkenswerte „Kritik der strahlenden
Vernunft“ vorgelegt. Schon das Vorwort macht klar: Dass sich ein Mythos gegen Versuche zur Wehr setzt, ihn zu
entmythologisieren, liegt in seiner Natur. Umso mehr fühlt sich Thiede veranlasst, nüchtern hinzuschauen und in zwei
Hauptteilen ausführlich und gespickt mit vielen Fußnoten darzulegen, was Sache ist. Die ersten vier Kapitel erläutern
die mystische, die kosmologische, die gesellschaftliche und die psychologische Funktion des Mobilfunk-Mythos. Die
weiteren vier Kapitel entmythologisieren die Grenzenlosigkeit des technizistischen Mythos (u.a. die gerade in
Deutschland extrem hohen Grenzwerte), beleuchten die Ärzteschaft in ihrem Verhältnis zur Problematik, erhellen das mit
dem Mythos verbundene Tabu in der digitalisierten Gesellschaft und kritisieren die hier leider zu registrierende
Ethik-Vergessenheit in Staat und Kirche. Auch wenn dieses Buch jetzt schon einige Jahre alt ist, erweist es sich nach
wie vor als sehr gut informiert und informierend. Gerade in seinem grundsätzlichen ethischen Zugriff auf das Thema,
der auch das Phänomen der Elektrohypersensibilität mit umfasst, ist und bleibt es hochaktuell – zumal inzwischen gegen
alle Einsicht und Kritik die rücksichtslose Mobilfunkbestrahlung der gesamten Bevölkerung angestrebt ist. Dass es
purer Zynismus ist, wenn diese Belastung von Menschen, Tieren und Pflanzen paternalistisch als „Versorgung“ ausgegeben
wird, macht diese wichtige Schrift nachhaltig deutlich. Rezension von Prof. Dr. Wilfried Kühling.
Werner Thiede, Oekom Verlag, 2012, ISBN 978-3865814043